Bundesverfassungsgericht erkennt Street Photography als Kunstform an

Mit Beschluss vom 8. Februar 2018 entschied das Bundesverfassungsgericht, dass die sogenannte „Street Photography“ (oder auch „Straßenfotografie“) als Kunst angesehen werden kann (Az.: 1 BvR 2112/15). Das Foto des Berliner-Ostkreuz-Fotografen Espen Eichhöfer sei ein Kunstwerk, auch wenn es ein unverfälschtes Abbild der Realität darstelle.

Öffentliche Ausstellung von Street Photography an viel befahrener Berliner Straße

Im Rahmen einer frei zugänglichen Ausstellung zum Thema „Ostkreuz: Westwärts, Neue Sicht auf Charlottenburg“ wurden vor einem Ausstellungshaus insgesamt 24 Ausstellungstafeln mit 146 Fotografien von diversen Fotografen ausgestellt. Alle Fotografien weisen einen Bezug zu einer stark frequentierten Straße im Berliner Stadtteil Charlottenburg auf.

Das Foto des Fotografen Eichhöfer zeigt eine Straßenszene, die unweit des Ausstellungsortes aufgenommen worden war. Im Mittelpunkt der Aufnahme steht die Klägerin des Verfahrens. Sie hält eine Handtasche in der einen, sowie eine Plastiktüte in der anderen Hand und überquert an einer Ampel die Straße. Sie trägt dabei ein Kleid mit Schlangenmuster und ihr Körper nimmt etwa ein Drittel des Bildes ein. Die Klägerin scheint zugleich in die Kamera zu blicken und ihr Gesicht ist gut erkennbar, auch wenn die Oberkante des Fotos auf Stirnhöhe endet. Das ausgestellte Street Photography Foto nahm die gesamte Fläche einer einzelnen Ausstellungstafel (120 x 140 cm) ein.

Street Photography: Natürliche ungestellte Fotos – Ohne Einwilligung

Bei der Aufnahme des Fotos und auch im Nachgang bat Eichhöfer die abgebildete Klägerin nicht um ihre Einwilligung in die Veröffentlichung der Street Photography. Nach einem anwaltlichen Schreiben der Klägerin gab Eichhöfer eine strafbewehrte Unterlassungserklärung ab. Die geforderte Geldentschädigung, eine fiktive Lizenzgebühr, sowie die Kosten der Abmahnung wollte der Fotograf Eichhöfer allerdings nicht zahlen.

Fotograf muss für Rechtsanwaltskosten aufkommen

Die Berliner Gerichte entschieden sodann in zwei Instanzen, dass Eichhöfer nur die Kosten für die anwaltliche Vertretung zu tragen habe. Eine fiktive Lizenzgebühr oder Geldentschädigung stehe der Klägerin allerdings nicht zu. Diese Entscheidung wurde nun durch den Beschluss des BVerfG in gewisser Weise bestätigt. Das BVerfG nahm die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung an. Denn es habe bereits in früheren Entscheidungen die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen entschieden.

In einer Gesamtbetrachtung sei es richtig, dass die Geltendmachung eines Anspruchs auf Unterlassung der Veröffentlichung der Street Photography Eichhöfer in seiner Kunstfreiheit aus Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG beinträchtige. Allerdings habe dieses Recht unter Abwägung mit dem Recht am eigenen Bild (§ 22 KUG) als Ausdruck des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Klägerin gemäß Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG zurück zu treten.

Street Photography kann Kunst sein

Das ausgestellte Street Photography Foto stelle sehr wohl ein Kunstwerk dar. Es sei eine freie schöpferische Gestaltung, in der Eindrücke, Erfahrungen und Erlebnisse des Künstlers durch das Medium einer bestimmten Formensprache, hier der Fotografie, zur Anschauung gebracht werde. Dass das Foto ein unverfälschtes Abbild der Realität – wie es bei der Street Photography üblich ist – darstelle, stehe dem nicht entgegen. Denn es sei gerade Ziel der Street Photography, die Realität unverfälscht abzubilden, wobei das spezifisch Künstlerische in der bewussten Auswahl des Realitätsausschnitts und der Gestaltung mit fotographischen Mitteln zum Ausdruck komme.

Soweit ein Foto daher als Kunstwerk anzusehen ist, umfasse die Kunstfreiheit nicht nur das Anfertigen der Fotografie, sondern auch deren Zuschaustellung im Rahmen einer öffentlich zugänglichen Ausstellung. Die Kunstfreiheit ist in Art. 5 GG zwar vorbehaltlos, aber nicht schrankenlos gewährleistet. Das durch Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht ist dabei ein Rechtsgut von Verfassungsrang, das der Kunstfreiheit Grenzen ziehen kann.

Abwägung im Einzelfall unumgänglich

Soweit die Ausstellung der Street Photography gegen ein anderes Recht verstößt – wie beispielsweise das Recht am eigenen Bild – so sei stets eine Abwägung der Interessen im Einzelfall vorzunehmen.

Für die Gewichtung der Belange des Persönlichkeitsschutzes sei stets bedeutsam, in welcher Situation die betroffene Person erfasst und wie sie dargestellt werde. Das Gewicht der mit der Abbildung verbundenen Beeinträchtigungen des Persönlichkeitsrechts sei erhöht, wenn die visuelle Darstellung durch Ausbreitung von üblicherweise der öffentlichen Erörterung entzogenen Einzelheiten des privaten Lebens thematisch die Privatsphäre berühre. Gleiches gelte, wenn die betroffene Person nach den Umständen, unter denen die Aufnahme gefertigt wurde, typischerweise die berechtigte Erwartung haben durfte, nicht öffentlich abgebildet zu werden.

Auch Kunstfreiheit kann Vorrang genießen

Doch auch die Kunstfreiheit kann ihrerseits dem Persönlichkeitsrecht Grenzen ziehen. Eine nur geringe Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts hat hinter die Kunstfreiheit zurück zu treten. Auch die bloße Möglichkeit einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts reiche hierzu angesichts der hohen Bedeutung der Kunstfreiheit nicht aus.

Die Lösung der Spannungslage zwischen Persönlichkeitsschutz und dem Recht auf Kunstfreiheit kann nicht allein auf die Wirkungen eines Kunstwerks im außerkünstlerischen Sozialbereich abheben, sondern muss auch kunstspezifischen Gesichtspunkten Rechnung tragen. In der Interpretation eines Kunstwerks sind werkgerechte Maßstäbe anzulegen, dabei sind in der Abwägung der Kunstfreiheit mit anderen Belangen strukturtypische Merkmale einer Kunstform zu berücksichtigen.

Im Fall des Berliner Fotografen Eichhöfer habe das Berliner Gericht die Bedeutung und Tragweite der Kunstfreiheit ausreichend berücksichtigt. Es habe passend erkannt, dass der Wirkbereich nicht von vornherein auf Galerien, Museen oder ähnliche räumlich begrenzte Ausstellungsorte zu beschränken sei. Vielmehr habe sich die besondere Persönlichkeitsverletzung der Klägerin durch die hervorgehobene Präsentation auf einer großformatigen Stelltafel an einer der verkehrsreichsten Straßen einer Millionenstadt ergeben.

Hoffnung für Street Photography

Mit dieser Ausführung habe das Kammergericht die ungestellte Abbildung von Personen ohne vorherige Einwilligung, welche strukturtypisch für die Street Photography ist, nicht generell unmöglich gemacht. Ob der Kunstfreiheit oder dem Persönlichkeitsrecht Vorrang zu gewähren ist, sei nach wie vor eine Frage des Einzelfalls, welche nicht pauschal beantwortet werden kann.

(Bild: © babaroga – Fotolia.com)

3 Gedanken zu „Bundesverfassungsgericht erkennt Street Photography als Kunstform an“

  1. Mit Wirksamwerden der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) am 25. Mai 2018 muss wahrscheinlich zumindest für ins Internet hochgeladene Fotos die Kunstfreiheit gegenüber dem Persönlichkeitsrecht stark in den Hintergrund treten.

    vgl. z.B. Benjamin Horvath:
    http://www.cr-online.de/blog/2018/03/09/das-ende-der-freien-veroeffentlichung-von-personenbildnissen-fuer-die-meisten-von-uns/

    Siehe dort insbesondere den Abschnitt zur neuen Rechtslage. Zitat daraus: „Bei der DSGVO handelt es sich jedoch um eine europäische Verordnung, die aufgrund der Normenhierarchie Vorrang gegenüber nationalen Gesetzen genießt.“

    Die Schuld trifft offenbar den deutschen Gesetzgeber, der noch nicht in ausreichendem Umfang von der in der DSGVO vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, Ausnahmeregelungen zu erlassen.

    Diese und andere Publikationen mit gleichem Tenor werden zur Zeit in Fotokreisen heiß diskutiert.

    MfG
    Johannes

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