Keine öffentliche Zugänglichmachung durch Deep-Link mit 70 Zeichen

Die Konstellation, mit der der Bundesgerichtshof (BGH) sich auseinanderzusetzen hatte, entstammte der täglichen Praxis in urheberrechtlichen Streitigkeiten (BGH, Urteil v, 27. Mai 2021, I ZR 119/20 – Lautsprecherfoto). Jemand nutzt eine Fotografie ohne die erforderlichen Nutzungsrechte und wird vom Rechteinhaber, in diesem Fall einem Profifotografen, (zu recht) abgemahnt. Zur Erfüllung der Ansprüche gibt der Betroffene unter anderem eine Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung ab, mit der er sich dazu verpflichtet, im Falle einer weiteren öffentlichen Zugänglichmachung eine Vertragsstrafe zu zahlen.

Vertragsstrafe aufgrund Verstoßes gegen Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung

Im weiteren Verlauf passierte genau das, nämlich ließ sich das Foto weiterhin im Netz abrufen. Die Besonderheit, die in der Praxis häufig zu finden ist: Das Bild ist nur noch abrufbar, wenn man den direkten Link (Deep-Link) zu der Bilddatei eingibt. Die bisherige Instanz-Rechtsprechung hat diese Abrufbarkeit für die Annahme eines Verstoßes gegen die abgegebene Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung als ausreichend erachtet. Folge war damit die Pflicht zur Zahlung einer empfindlichen Vertragsstrafe, nicht selten über 5.000 € (z. B.: OLG Köln, Urteil v. 28.10.2016 – 6 U 206/15).

Im konkreten Fall handelte es sich um eine über 70-stellige Folge von groß und klein geschriebenen Buchstaben, Sonderzeichen und Ziffern, unter der sich die Fotografie auf der Plattform eBay-Kleinanzeigen weiterhin abrufen ließ. Der Fotograf forderte daraufhin die Zahlung einer Vertragsstrafe in Höhe von 1.000 €. Das erstinstanzlich zuständige Landgericht hat die Klage abgewiesen (LG Frankfurt, 10. April 2019, Az: 2-6 O 299/18). Die Berufung des Fotografen gegen dieses Urteils ist ebenfalls ohne Erfolg geblieben (OLG Frankfurt, 16. Juni 2020, Az: 11 U 46/19).

Unbestimmte Zahl potenzieller Adressaten und recht viele Personen erforderlich

Der BGH hat nun zu der entscheidenden Frage, ob die Abrufbarkeit unter einem Deep-Link eine öffentliche Zugänglichmachung gem. § 19a UrhG darstellt, deutlich Stellung bezogen. Unter Verweis auf den korrespondierenden Begriff der „öffentlichen Wiedergabe“ im Sinne des Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG stellte das Gericht fest, dass der maßgebliche Begriff der Öffentlichkeit nur bei einer unbestimmten Zahl potenzieller Adressaten und recht vielen Personen erfüllt ist:

„Um eine „unbestimmte Zahl potentieller Adressaten“ handelt es sich, wenn die Wiedergabe für Personen allgemein erfolgt, also nicht auf besondere Personen beschränkt ist, die einer privaten Gruppe angehören (zu Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG vgl. EuGH, Urteil vom 7. Dezember 2006 – C-306/05, GRUR 2007, 225 Rn. 37 – SGAE, mwN; zu Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 92/100/EWG [jetzt Richtlinie 2006/115/EG] vgl. EuGH, Urteil vom 15. März 2012 – C-135/10, GRUR 2012, 593 Rn. 85 = WRP 2012, 689 – SCF; Urteil vom 15. März 2012 – C-162/10, GRUR 2012, 597 Rn. 34 – Phonographic Performance (Ireland); BGH, Urteil vom 17. September 2015 – I ZR 228/14, BGHZ 206, 365 Rn. 46 – Ramses; Urteil vom 11. Januar 2018 – I ZR 85/17, GRUR 2018, 608 Rn. 34 = WRP 2018, 701 – Krankenhausradio).“

BGH, Urteil vom 27.05.2021, Az.: I ZR 119/20 – Lautsprecherfoto

Mit dem Kriterium „recht viele Personen“ sei gemeint, dass der Begriff der Öffentlichkeit eine bestimmte Mindestschwelle enthalte und eine allzu kleine oder gar unbedeutende Mehrzahl betroffener Personen ausschließe:

„Zur Bestimmung dieser Zahl von Personen ist die kumulative Wirkung zu beachten, die sich aus der Zugänglichmachung der Werke bei den potentiellen Adressaten ergibt. Dabei kommt es darauf an, wie viele Personen gleichzeitig und nacheinander Zugang zu demselben Werk haben (vgl. EuGH, GRUR 2007, 225 Rn. 38 – SGAE; EuGH, Urteil vom 7. März 2013 – C-607/11, GRUR 2013, 500 Rn. 32 und 33 – ITV Broadcasting u.a.; Urteil vom 13. Februar 2014 – C-466/12, GRUR 2014, 360 Rn. 21 = WRP 2014, 414 – Svensson u.a.; Urteil vom 27. Februar 2014 – C-351/12, GRUR 2014, 473 Rn. 27 und 28 = WRP 2014, 418 – OSA; Urteil vom 31. Mai 2016 – C-117/15, GRUR 2016, 684 Rn. 40 bis 44 – Reha Training; Urteil vom 8. September 2016 – C-160/15, GRUR 2016, 1152 Rn. 36 = WRP 2016, 1347 – GS Media BV; BGH, Urteil vom 18. Juni 2015 – I ZR 14/14, GRUR 2016, 278 Rn. 44 = WRP 2016, 218 – Hintergrundmusik in Zahnarztpraxen; BGHZ 206, 365 Rn. 47 – Ramses; BGH, GRUR 2018, 608 Rn. 34 – Krankenhausradio; GRUR 2020, 1297 Rn. 23 – Rundfunkübertragung in Ferienwohnungen).“ 

BGH, Urteil vom 27.05.2021, Az.: I ZR 119/20 – Lautsprecherfoto

Die Beurteilung der Frage, ob die mit dem Kriterium „recht viele Personen“ umschriebene Mindestschwelle überschritten ist, mit der eine allzu kleine oder gar unbedeutende Mehrzahl betroffener Personen aus dem unionsrechtlichen Begriff der Öffentlichkeit ausgeschlossen werden soll, kann durch die nationalen Gerichte beurteilt werden.

70 Zeichen langer Deep-Link für öffentlichte Zugänglichmachung nicht ausreichend

Das streitgegenständliche Foto war nur durch die Eingabe der rund 70 Zeichen umfassenden URL-Adresse im Internet zugänglich gewesen. Damit beschränke sich der relevante Personenkreis faktisch auf diejenigen Personen, die diese Adresse zuvor – als das Foto noch im Rahmen der eBay-Anzeige des Betroffenen frei zugänglich gewesen ist – abgespeichert oder sie sonst in irgendeiner Weise kopiert oder notiert hätten, oder denen die Adresse von solchen Personen mitgeteilt worden sei. Es widerspreche jeder Lebenserfahrung, dass außer dem hier klagenden Fotografen noch „recht viele“ andere Personen die URL-Adresse gekannt und Zugang zu dem Foto gehabt haben könnten. 

An dieser Beurteilung ändere auch nichts, dass es sich bei der Plattform „eBay-Kleinanzeigen“ um den weltweit größten Online-Marktplatz handele und die abgebildeten Lautsprecher keine Spezialartikel, sondern niedrigpreisige Standardware seien:

„Maßgeblich für die Beurteilung des Berufungsgerichts war vielmehr der Umstand, dass das Foto nur durch die Eingabe der rund 70 Zeichen umfassenden URL zugänglich und damit faktisch nur für diejenigen Personen auffindbar gewesen sei, die diese Adresse zuvor abgespeichert oder sonst in irgendeiner Weise kopiert oder notiert hätten oder die Adresse von solchen Personen erhalten hätten.“

BGH, Urteil vom 27.05.2021, Az.: I ZR 119/20 – Lautsprecherfoto

Entscheidung zu Deep-Links klärt Praxisproblem

Die Entscheidung des BGH ist grundsätzlich zu begrüßen, greift sie doch eine Konstellation auf, mit der in der Praxis häufig versucht wird, unangemessen hohe Vertragsstrafen durchzusetzen. In den wenigsten Fällen werden die Schuldner der Unterlassungsverpflichtung das gegenständliche Foto mit böser Absicht (weiterhin) unter dem Deep-Link abrufbar halten. Häufig ist es allein (technisches) Unwissen, dass zu diesem Umstand führt. Gleichwohl lässt die Entscheidung durchaus Argumentationsspielraum, um im Einzelfall hiervon abzuweichen, z. B. dann, wenn nachweislich eine nicht unerhebliche Anzahl von Personen den Deep-Link kannte und nutzen konnte.

(Bild von StockSnap auf Pixabay)

1 Gedanke zu „Keine öffentliche Zugänglichmachung durch Deep-Link mit 70 Zeichen“

  1. Die entscheidende Frage dürfte ja eher sein, ob das Bild – als es noch über die Ebay-Anzeige frei zugänglich war – von einer Bildsuchmaschine wie images.google.com indiziert wurde und auf diese Weise der Allgemeinheit zugänglich ist. Durch direkte Eingabe der URL wird wohl niemals eine relevante Personenzahl ein Bild aufrufen, selbst wenn es nicht über eine 70stellige Zeichenfolge, sondern schlicht über einen nicht ganz kurzen Dateinamen erreichbar ist.

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