Der BGH zum Bildnis der Zeitgeschichte

Der BGH schafft Klarheit in der identifizierenden Bildberichterstattung. Auch über Verfahren außerhalb des Strafrechts kann demnach grundsätzlich identifizierend durch die Presse berichtet werden. Hat das dargestellte Fehlverhalten eine besondere Bedeutung für die Öffentlichkeit, liegt ein zeitgeschichtliches Ereignis vor.

Medizin-Tourismus und die Wohnungsnot in München

Gegenstand des vom BGH zu entscheidenden Verfahrens war eine Berichterstattung der BILD-Zeitung über das Geschäftsmodell, ausländischen sogenannten „Medizintouristen“ Wohnungen in München unterzuvermieten (Urt. v. 17. Dezember 2019, Az: VI ZR 504/18). Die Betreiber dieses Geschäftsmodells stellten dabei Wohnraum an „Medizintouristen“ zu hohen Preisen ohne oder gegen den ausdrücklichen Willen des Vermieters zur Verfügung. Dieses Verhalten wurde ihnen mehrfach durch das Verwaltungsgericht untersagt.

Über eine Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht München berichtete sodann die BILD-Zeitung In dem darauf folgenden Artikel wurden die Betreiber mit Vornamen sowie abgekürzten Nachnamen genannt und Fotos veröffentlicht, auf welchen diese abgebildet waren. Eine Einwilligung zur Veröffentlichung der Fotos fehlte. Die Betreiber wehrten sich klageweise gegen die Veröffentlichung der identifizierenden Bildnisse und gaben an, in ihrem Persönlichkeitsrecht verletzt zu sein. Nachdem die ersten beiden Instanzen die Klage für begründet hielten, gab der BGH nun der BILD-Zeitung recht. Demnach liege ein Bildnis der Zeitgeschichte vor. Eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts sei abzulehnen.

Bildnis der Zeitgeschichte

Grundsätzlich bedarf es zur Veröffentlichung eines Bildnisses der Einwilligung des dort Abgebildeten. Ausnahmsweise kann auf diese Einwilligung verzichtet werden, wenn ein sogenanntes Bildnis der Zeitgeschichte vorliegt und dabei nicht berechtigte Interessen des Abgebildeten verletzt werden.

Der BGH stellt zunächst lehrbuchmäßig klar, dass die Überprüfung, ob ein Bildnis der Zeitgeschichte vorliege, eine Abwägung zwischen den Persönlichkeitsrechten einerseits und den Rechten der Presse andererseits erfordere. Maßgebend sei hierbei der Begriff des Zeitgeschehens. Dieser umfasse alle Fragen von allgemeinem gesellschaftlichen Interesse. Hierbei müsse der Presse innerhalb der gesetzlichen Grenzen ein ausreichender Spielraum zugesprochen werden, um selbst entscheiden zu können, was öffentliches Interesse beanspruche. Als Grenze diene hierbei insbesondere der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, mithin eine abwägende Berücksichtigung der kollidierenden Rechtspositionen. Ziel sei es letztendlich, diese kollidierenden Rechtspositionen zu einem schonenden Ausgleich zu bringen. Je größer jedoch der Informationswert für die Öffentlichkeit sei, desto mehr muss das Schutzinteresse desjenigen, über den informiert wird, hinter die Informationsbelange der Öffentlichkeit zurücktreten.

Identifizierende Berichterstattung durch die Presse

Die Aufgabe der Medien sei es, bei einem anzuerkennenden Interesse der Öffentlichkeit an näherer Information über Tat und Täter zu berichten. Ein solches anzuerkennendes Interesse sei grundsätzlich bei der Verletzung der Rechtsordnung und der Beeinträchtigung von Rechtsgütern der betroffenen Bürger oder der Gemeinschaft anzunehmen (von den Gerichten verneint etwa in folgenden Fällen: 16-jährige stürzt aus dem Fenster ihres Elternhauses; Bericht in AStA-Zeitung über „Pick-Up-Artist“).

Bei einer sogenannten identifizierenden Berichterstattung über ein Fehlverhalten sei jedoch zu beachten, dass das Fehlverhalten des Abgebildeten öffentlich bekannt gemacht und demnach intensiver in sein Persönlichkeitsrecht eingegriffen werde, da die Person in den Augen der Adressaten von vornherein negativ qualifiziert sei. Hierbei macht der BGH aber deutlich, dass es sich bei einem „Fehlverhalten“ nicht etwa nur um eine strafrechtlich relevante Tat handeln müsse. Auch bei einem Verwaltungsverfahren könne ein öffentliches Interesse an identifizierender Berichterstattung bestehen, wenn es sich um ein Geschehen von zeitgeschichtlichem Interesse handele.

„Besondere Bedeutung für die Öffentlichkeit“ als zeitgeschichtlicher Maßstab

Wann ein Fehlverhalten zum zeitgeschichtlichen Interesse werde, hängt laut BGH davon ab, ob das streitgegenständliche Verhalten schädliche Auswirkungen auf die Gemeinschaft habe. Es komme bei der Frage der „Schädlichkeit“ nicht darauf an, ob die Bedeutung des Fehlverhaltens für die Öffentlichkeit sich mit dem Bekanntheitsgrad der identifizierend dargestellten Personen selbst begründen müsse. Dies wäre im vom BGH zu beurteilendem Fall auch nicht gegeben gewesen. Vielmehr sei auch zu berücksichtigen, ob eine besondere Bedeutung des Fehlverhaltens für die Öffentlichkeit vorliege:

„Ein nicht mit Strafe bedrohtes rechtswidriges Verhalten einer der Öffentlichkeit nicht bekannten Person kann etwa wegen seiner Art, seines Umfangs und seiner Auswirkungen auf gewichtige Belange der Gesellschaft von so erheblicher Bedeutung für die Öffentlichkeit sein, dass das Recht am eigenen Bild hinter dem Öffentlichkeitsinteresse zurückzutreten hat.“

Diese besondere Bedeutung bejahte der BGH im vorliegenden Fall.

Kein Wandel der Rechtsprechung, aber…

Das Urteil des BGH ist kein Richtungswandel hin zu einer pressefreundlicheren Rechtsprechung. Jedoch macht es durchaus das komplizierte Geflecht der Rechtmäßigkeit identifizierender Berichterstattung ein wenig verständlicher. Dabei erläutert der BGH lehrbuchmäßig die notwendigen Voraussetzungen der Anforderungen eines Bildnisses der Zeitgeschichte. Allein deswegen lohnt es sich, das Urteil zu lesen. Dabei stellt der BGH noch einmal klar, dass es bei der Frage des Zeitgeschehens nicht darauf ankomme, ob das zugrundeliegende Verfahren strafrechtlicher Natur sei und damit grundsätzlich eher das Interesse der Bevölkerung wecke. Eine besondere Bedeutung des Geschehens für die Öffentlichkeit reiche aus. Letztendlich bleibt die Beantwortung dieser Frage immer eine Einzelfallentscheidung.

(Bild: © mikelaptev – Fotolia.com)

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