BGH, Beschluss vom 5. Dezember 2012, Az.: I ZR 36/11

Tenor

I. Das Verfahren wird ausgesetzt.

II. Dem Gerichtshof der Europäischen Union wird zur Auslegung der Art. 10 Abs. 1 und 2, Art. 28 Abs. 5, Art. 29 der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben über Lebensmittel (ABl. Nr. L 404 vom 30. Dezember 2006, S. 9) in der zuletzt durch die Verordnung (EU) Nr. 116/2010 der Kommission vom 9. Februar 2010 (ABl. Nr. L 37 vom 10. Februar 2010, S. 16) geänderten Fassung folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Mussten die Hinweispflichten nach Art. 10 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 bereits im Jahre 2010 befolgt werden?

Gründe

I. Die Beklagte stellt her und vertreibt Milchprodukte. Zu ihren Produkten gehört ein Früchtequark „Monsterbacke“, der im Handel in Verkaufseinheiten angeboten wird, die aus sechs 50-Gramm-Bechern bestehen. Auf der Oberseite dieser Verkaufseinheiten befindet sich der Werbeslogan „So wichtig wie das tägliche Glas Milch!“. Nach der auf der Verpackung seitlich angebrachten Nährwerttabelle hat das Produkt der Beklagten pro 100 g einen Brennwert von 105 kcal, einen Zuckergehalt von 13 g, einen Fettanteil von 2,9 g und einen 1 Calciumgehalt von 130 mg Calcium. Bei 100 g Kuhmilch beträgt der Calciumgehalt ebenfalls 130 mg; der Zuckergehalt liegt dort bei 4,7 g.

Die Klägerin, die Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs, hält den Werbeslogan der Beklagten für irreführend. Der beanstandete Werbeslogan enthalte zudem nährwertbezogene sowie gesundheitsbezogene Angaben über Lebensmittel und verstoße daher auch gegen Art. 9 und 10 der zeitlich bereits anwendbaren Verordnung (EG) Nr. 1924/2006. Mit dem Hinweis auf Milch werde zumindest mittelbar erklärt, dass das beworbene Produkt ebenfalls viel Calcium enthalte, so dass keine bloße Beschaffenheitsangabe vorliege, sondern ein Vorteil für die Gesundheit des Konsumenten versprochen werde.

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat geltend gemacht, ihr Produkt sei ein mit Milch vergleichbares Alternativlebensmittel; der auf niedrigem Niveau unterschiedliche Zuckergehalt sei unerheblich. Der Verbraucher setze das beanstandete Produkt nicht mit Milch gleich. Die Bezugnahme auf das „Glas Milch“ besage lediglich, dass es sich um ein mit Milch vergleichbares Produkt handele. Der streitgegenständliche Slogan bringe keine besondere Nährwert-Eigenschaft des Produkts zum Ausdruck und stelle daher lediglich eine von der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 nicht erfasste Beschaffenheitsangabe dar. Die Bestimmung des Art. 10 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 sei im Streitfall zudem gemäß Art. 28 Abs. 5 dieser Verordnung noch nicht anwendbar.

Das Berufungsgericht hat der auf Unterlassung sowie Ersatz der Abmahnkosten gerichteten und im ersten Rechtszug erfolglosen Klage stattgegeben (OLG Stuttgart, ZLR 2011, 352).

Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision, der die Klägerin entgegentritt, verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter. 2 II. Der Erfolg der Revision hängt von der Auslegung der Art. 10 Abs. 1 und 2, Art. 28 Abs. 5, Art. 29 der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben über Lebensmittel (ABl. Nr. L 404 vom 30. Dezember 2006, S. 9) in der zuletzt durch die Verordnung (EU) Nr. 116/2010 der Kommission vom 9. Februar 2010 (ABl. Nr. L 37 vom 10. Februar 2010, S. 16) geänderten Fassung ab. Vor der Entscheidung ist deshalb das Verfahren auszusetzen und gemäß Art. 267 Abs. 1 Buchst. b und Abs. 3 AEUV eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union einzuholen.

1. Das Berufungsgericht hat gemeint, der beanstandete Werbeslogan der Beklagten stelle zwar weder eine nährwertbezogene noch eine gesundheitsbezogene Angabe im Sinne der vorrangig anzuwendenden Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 dar, sei aber irreführend im Sinne von § 11 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 1 des deutschen Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuchs (LFGB). Zum ersteren Gesichtspunkt hat es ausgeführt:

Eine nährwertbezogene Angabe im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Nr. 4 der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 liege nur vor, wenn unmittelbar oder mittelbar erklärt werde, dass ein Lebensmittel besondere positive Nährwerteigenschaften habe. Mit der im Streitfall in Rede stehenden unspezifischen Angabe werde jedoch keine positive ernährungsbezogene oder physiologische Wirkung behauptet. Eine gesundheitsbezogene Angabe im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Nr. 5 Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 setze einen Hinweis auf die Bedeutung des Lebensmittels oder eines darin enthaltenen Stoffs für das gesundheitsbezogene Wohlbefinden voraus. Die beanstandete Angabe beziehe sich aber weder auf die Gesundheit noch auf das Wohlbefinden, insbesondere nicht auf das gesundheitsbezogene Wohlbefinden, sondern enthalte noch nicht einmal eine Aussage zum allgemeinen Wohlbefinden. 6 2. Der Senat hält den beanstandeten Werbeslogan nicht für irreführend im Sinne von § 11 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 1 LFGB. Der Slogan stellt nach Auffassung des Senats auch keine nährwertbezogene Angabe im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Nr. 4 der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006, wohl aber eine gesundheitsbezogene Angabe im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Nr. 5 dieser Verordnung dar. Dies schließt der Senat aus der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union in der Rechtssache „Deutsches Weintor“ (Urteil vom 6. September 2012 – C-544/10GRUR 2012, 1161 = WRP 2012, 1368). Nach dieser Entscheidung ist der Begriff „Zusammenhang“ in der Definition der „gesundheitsbezogenen Angabe“ in Art. 2 Abs. 2 Nr. 5 der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 weit zu verstehen (EuGH, GRUR 2012, 1161 Rn. 34). Der Begriff „gesundheitsbezogene Angabe“ erfasst jeden Zusammenhang, der eine Verbesserung des Gesundheitszustands dank des Verzehrs des Lebensmittels impliziert (EuGH aaO Rn. 35). Die beanstandete Werbung setzt bei den angesprochenen Verbrauchern voraus, dass sie von einer gesundheitsfördernden Wirkung der Milch, vor allem für Kinder und Jugendliche, ausgehen. Der Slogan knüpft an die verbreitete Meinung an, Kinder und Jugendliche sollten im Hinblick auf diese gesundheitsfördernde Wirkung, insbesondere wegen der enthaltenen Mineralstoffe, täglich ein Glas Milch trinken, und überträgt diese positive Wirkung auf das eigene Produkt, das in dieser Hinsicht „dem täglichen Glas Milch“ gleichgestellt wird. Damit wird ein Zusammenhang zwischen dem beworbenen Lebensmittel und der Gesundheit des Konsumenten suggeriert, der nach den vom Gerichtshof aufgestellten Grundsätzen ausreicht, um von einer gesundheitsbezogenen Angabe im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Nr. 5 der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 auszugehen.

3. Nach Art. 10 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 sind gesundheitsbezogene Angaben verboten, sofern sie nicht den allgemeinen Anforderungen in Kapitel II und den speziellen Anforderungen im Kapitel IV der Verord-9 nung entsprechen, nach ihr zugelassen und in die Liste der zugelassenen Angaben gemäß den Art. 13 und 14 der Verordnung aufgenommen sind. Gesundheitsbezogene Angaben sind danach – anders gewendet – nur dann zulässig, wenn sie – erstens – den allgemeinen Anforderungen der Art. 3 bis 7 der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 und – zweitens – den in Art. 10 bis 19 dieser Verordnung aufgestellten speziellen Anforderungen entsprechen sowie – drittens – gemäß dieser Verordnung zugelassen und in die Liste der zugelassenen Angaben gemäß den Art. 13 und 14 der Verordnung aufgenommen sind.

4. Die erste dieser drei Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer gesundheitsbezogenen Angabe ist nach Ansicht des Senats erfüllt; die dritte Voraussetzung konnte im für die Beurteilung des Streitfalls maßgeblichen Zeitpunkt im Jahre 2010 im Hinblick auf die – jedenfalls damals – noch ausstehende Erstellung der Listen gemäß Art. 13 und 14 der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 nach deren Art. 28 Abs. 5 und 6 noch nicht erfüllt werden. Dagegen erscheint es als fraglich, ob die Beklagte die zweite der genannten drei Voraussetzungen für die Zulässigkeit ihres eine gesundheitsbezogene Angabe enthaltenden Werbeslogans erfüllt oder aber deshalb rechtswidrig und damit zugleich wettbewerbswidrig gehandelt hat, dass die Kennzeichnung ihres mit diesem Slogan beworbenen Lebensmittels keine der in Art. 10 Abs. 2 Buchst. a bis d dieser Verordnung im Einzelnen aufgeführten Informationen getragen hat. Insoweit stellt sich die Frage, ob die Bestimmung des Art. 10 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 im für die Beurteilung des Streitfalls relevanten Zeitpunkt im Jahre 2010 bereits zeitlich anwendbar war. Hierzu werden drei Ansichten vertreten:

a) Nach einer in Deutschland in der Rechtsprechung wie auch im Schrifttum verbreiteten Ansicht dürfen gesundheitsbezogene Angaben bereits seit 1. Juli 2007 (Art. 29 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006) nur dann ge-11 macht werden, wenn die Kennzeichnung oder bei deren Fehlen die Aufmachung des Lebensmittels und die Lebensmittelwerbung die in Art. 10 Abs. 2 Buchst. a bis d dieser Verordnung genannten Informationen tragen (vgl. OLG Nürnberg, ZLR 2008, 731 f.; OLG Hamburg, WRP 2012, 1586, 1592 mwN; LG Rostock, MD 2011, 777, 779 f.; Rathke in Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht, C 111, 129. Lfg. Juli 2007, Art. 10 Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 Rn. 4; Hagenmeyer, StoffR 2007, 201, 208; Greifeneder, Nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben bei Lebensmitteln in Deutschland und Europa, Diss. Bayreuth 2009, S. 170). Diese Ansicht kann für sich den Wortlaut des Art. 28 Abs. 5 der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 in Anspruch nehmen, in dem die Bestimmung des Art. 10 Abs. 2 der Verordnung nicht genannt ist. Auf der Grundlage dieser Ansicht wäre die Klage begründet.

b) Nach anderer Ansicht gelten die Hinweispflichten gemäß Art. 10 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 erst ab der Verabschiedung der Liste zugelassener gesundheitsbezogener Angaben gemäß Art. 13 Abs. 3 dieser Verordnung (vgl. Meisterernst in Meisterernst/Haber, Praxiskommentar Health & Nutrition Claims, 14. Lfg. Juli 2011, Art. 10 Rn. 9a). Für eine solche Auslegung spreche der systematische Zusammenhang der Regelung. Der Umstand, dass dem Art. 10 Abs. 1 der Verordnung, der nur die Verwendung der in der Liste gemäß Art. 13 und 14 der Verordnung aufgenommenen zugelassenen gesundheitsbezogenen Angaben zulasse, die Regelung in Art. 10 Abs. 2 der Verordnung über spezielle Hinweispflichten folge, lasse darauf schließen, dass sich die letztere Regelung allein auf die gemäß dem vorangegangenen Absatz 1 der Vorschrift zugelassenen Angaben beziehen solle. Erst im Falle einer solchen Zulassung nähmen diese gesundheitsbezogenen Angaben aufgrund ihrer amtlichen Billigung in Anspruch, gemäß behördlicher Überprüfung einen Wirknachweis geführt zu haben; der Verordnungsgeber habe dem Verwender die damit verbundenen Hinweispflichten deshalb auch erst ab diesem Zeitpunkt 13 auferlegen wollen. Dies werde besonders deutlich bei der Hinweispflicht gemäß Art. 13 Abs. 2 Buchst. b der Verordnung, wonach Informationen zum Verzehrmuster und zur Menge des Lebensmittels zu geben seien, wie sie auch gemäß Art. 16 Abs. 4 Buchst. d der Verordnung Gegenstand der behördlichen Beurteilung der gesundheitsbezogenen Angabe seien. Zudem seien diese Informationen gemäß der Verordnung (EG) Nr. 353/2008 der Kommission vom 18. April 2008 zur Festlegung von Durchführungsbestimmungen für Anträge auf Zulassung gesundheitsbezogener Angaben gemäß Art. 15 der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. Nr. L 109 vom 30. April 2008, S. 11) ausdrücklich Gegenstand des Antragsverfahrens für eine gesundheitsbezogene Angabe. Dass der Gemeinschaftsgesetzgeber nicht von der uneingeschränkten Anwendung des Art. 10 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 bereits vor Verabschiedung der Listen gemäß Art. 13 und 14 der Verordnung ausgegangen sei, ergebe sich überdies aus offiziellen Mitteilungen einzelner Mitgliedstaaten (Vereinigtes Königreich und Österreich). Verwiesen wird in diesem Zusammenhang auf einen von der britischen Lebensmittelüberwachungsbehörde Food Standards Agency herausgegebenen offiziellen Leitfaden (Guidance to Compliance Version 1) vom April 2008 (abgedruckt bei Meisterernst/Haber aaO Appendix A II 2.1), in dem es auf Seite 33 unter 6.3. „Labelling requirements for health claims (Article 10)“ heißt:

Article 10 requires additional statements to be made in the labelling (or if there is no labelling, in the presentation and advertising) of products that make health claims. It is the Agency’s view that these do not become requirements until the Community Register of authorised health claims is adopted …

Auf der Grundlage dieser Ansicht wäre die Klage unbegründet.

c) Nach einer dritten, vor allem in der österreichischen Rechtsliteratur vertretenen Auffassung ist aus den vorstehend in Randnummer 13 genannten Gründen zumindest die Bestimmung des Art. 10 Abs. 2 Buchst. b der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 erst anwendbar, wenn eine Liste zugelassener gesund-14 heitsbezogener Angaben vorliegt. Da erst die zukünftigen Gemeinschaftslisten alle zulässigen Angaben und erforderlichen Bedingungen für ihre Verwendung enthielten, könnten dem Lebensmittelunternehmer nicht bereits zuvor Verpflichtungen auferlegt werden, die die Kenntnis der derzeit noch nicht einmal ansatzweise absehbaren Zulassungspraxis der Kommission voraussetzten (vgl. Meisterernst in Meisterernst/Haber aaO Art. 10 Rn. 9b mN). Diese Sichtweise hat sich auch das Österreichische Bundesministerium für Gesundheit, Familie und Jugend in seinem „2. Orientierungserlass zur Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben über Lebensmittel“ vom 26. Juli 2007 (abgedruckt bei Meisterernst/Haber aaO Appendix A II 1.2) zu eigen gemacht. Nach dieser Ansicht hat die Beklagte mit ihrem beanstandeten Werbeslogan zwar nicht gegen Art. 10 Abs. 2 Buchst. b der Verordnung

(EG) Nr. 1924/2006, wohl aber gegen Art. 10 Abs. 2 Buchst. a, c und d dieser Verordnung verstoßen. Nach dieser Auffassung wäre die Klage – ebenso wie nach der oben in Randnummer 12 referierten Ansicht – begründet.

Bornkamm Büscher Schaffert Kirchhoff Löffler Vorinstanzen:

LG Stuttgart, Entscheidung vom 31.05.2010 – 34 O 19/10 KfH-

OLG Stuttgart, Entscheidung vom 03.02.2011 – 2 U 61/10 –

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