„Alles wird besser“ – BGH zum urheberrechtlichen Auskunftsanspruch

Ein Musikvertriebsunternehmen hatte mit Hilfe eines beauftragten Unternehmens IP-Adressen von Personen ermittelt, die den Titel „Bitte hör nicht auf zu träumen“ des Albums „Alles kann besser werden“ von Xavier Naidoo in Online-Tauschbörsen anderen Personen zum Download angeboten haben. Die jeweiligen (dynamischen) IP-Adressen waren den Nutzern von der Deutschen Telekom AG als Internet-Provider zugewiesen worden.

Gemäß § 101 Abs. 9 UrhG in Verbindung mit § 101 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 UrhG muss der Auskunftsanspruch vor Gericht geltend gemacht werden, um unter Verwendung von Verkehrsdaten im Sinne des § 3 Nr. 30 TKG über den Namen und die Anschrift derjenigen Nutzer Auskunft zu bekommen, denen die genannten IP-Adressen zu den jeweiligen Zeitpunkten zugewiesen waren.

Das Land- und das Oberlandesgericht Köln hatten die Klage hauptsächlich mit der Begründung abgelehnt, dass die begehrte Anordnung eine Rechtsverletzung in gewerblichem Ausmaß voraussetze, die hinsichtlich des Musiktitels „Bitte hör nicht auf zu träumen“ nicht gegeben sei.

Der Beschluss des BGH

In seinem Beschluss vom 19.04.2012 (Az.: I ZB 80/11 – Alles kann besser werden) führt der BGH zunächst auf, dass in Fällen offensichtlicher Rechtsverletzung oder in Fällen, in denen der Verletzte gegen den Verletzer Klage erhoben hat, der Anspruch unbeschadet von § 101 Abs. 1 UrhG auch gegen eine Person besteht, die in gewerblichem Ausmaß – was im vorliegenden Fall allein von Bedeutung ist – für rechtsverletzende Tätigkeiten genutzte Dienstleistungen erbrachte.

Wortlautargument

Der Wortlaut des § 101 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 UrhG bietet keinen hinreichenden Anhaltspunkt dafür, dass die rechtsverletzenden Tätigkeiten gleichfalls ein gewerbliches Ausmaß haben muss. Das bezieht sich nur auf den verwendeten Begriff des Erbringens von Dienstleistungen.

Systematik

Auch die Systematik spricht für die Auslegung des BGH. Im Vergleich zu anderen Gesetzen des geistigen Eigentums wird deutlich, dass der Auskunftsanspruch gegen Dritte nach § 101 Abs. 2 UrhG – wie auch die Auskunftsansprüche nach § 140b Abs. 2 PatG, § 24b Abs. 2 GebrMG, § 46 Abs. 2 GeschmMG, § 37b Abs. 2 SortSchG und § 19 Abs. 2 MarkenG – ohne Einschränkungen bei jeder Rechtsverletzung besteht.

Zweck des Gesetzes

Der Auskunftsanspruch gegen Dritte nach § 101 Abs. 2 UrhG dient nicht lediglich der Durchsetzung des Auskunftsanspruchs gegen den Verletzer nach § 101 Abs. 1 UrhG und ist daher auch nicht an dessen Voraussetzungen geknüpft. Der Auskunftsanspruch gemäß § 101 Abs. 2 UrhG ist ein Hilfsanspruch zur Vorbereitung von Unterlassungsansprüchen und Schadensersatzansprüchen gegen den Verletzer. Er ist an die Bedingung geknüpft, dass die Voraussetzungen eines Unterlassungsanspruchs oder Schadensersatzanspruchs aus § 97 UrhG erfüllt sind.

Nach Meinung des BGH erfasse die Vorschrift vor allem Rechtsverletzungen in Tauschbörsen. Bestünde kein Auskunftsanspruch gegen den Internet-Provider, könnte der Rechtsinhaber diese Rechtsverletzungen nicht verfolgen, weil er den Verletzer nicht ermitteln könnte (vgl. Stellungnahme des Bundesrats, BT-Drucks. 16/5048, S. 53 und 59). Der Rechteinhaber würde daher praktisch schutzlos gestellt.

Richtlinie 2004/48/EG

Die Auslegung des BGH entspricht dem Gebot des Art. 8 Abs. 1 Fall 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/48/EG. Soweit die Regelung des § 101 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 UrhG einen solchen Auskunftsanspruch auch in Fällen offensichtlicher Rechtsverletzung vorsieht, geht sie zwar über die Vorgaben der Richtlinie 2004/48/EG hinaus. Jedoch handelt es sich dabei um eine nach Art. 8 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 2004/48/EG zulässige andere gesetzliche Bestimmung, die dem Rechtsinhaber weitergehende Auskunftsrechte einräumt, so der BGH.

Entscheidungsreife

Der BGH entschied, dass der Beschluss des Landgerichts auf die Beschwerde der Antragstellerin abzuändern ist. Dem Antrag, der Beteiligten zu gestatten, der Antragstellerin unter Verwendung von Verkehrsdaten im Sinne des § 3 Nr. 30 TKG über den Namen und die Anschrift derjenigen Nutzer Auskunft zu erteilen, ist stattzugeben.

Nach Aussage des BGH ist der Auskunftsanspruch unter Abwägung der betroffenen Rechte des Rechtsinhabers, des Auskunftspflichtigen und der Nutzer sowie unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit in aller Regel ohne weiteres begründet.

Insbesondere Unionsrechtliche wie auch verfassungsrechtliche Bedenken werden zerstreut. Nach Unionsrecht seien die allgemeinen Grundsätze wie die Verhältnismäßigkeit zu beachten.

Verfassungsrechtlich liegt prinzipiell ein Eingriff in den Schutzbereich des durch Art. 10 Abs. 1 GG geschützten Fernmeldegeheimnisses vor. Allerdings darf der Gesetzgeber solche Auskünfte auf der Grundlage der allgemeinen fachrechtlichen Eingriffsermächtigungen zulassen. Hinsichtlich der Eingriffsschwellen ist sicherzustellen, dass eine Auskunft nicht ins Blaue hinein eingeholt wird, sondern nur aufgrund eines hinreichenden Anfangsverdachts oder einer konkreten Gefahr auf einzelfallbezogener Tatsachenbasis erfolgen darf.

Auch ist damit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genüge getan, um die Rechte des Urheber nach Art. 14 Abs. 1 GG zu wahren.

Das heißt?

Neben den dogmatischen Erwägungen noch ein paar Worte zu der Bedeutung dieses Beschlusses in der Praxis. Mögliche Folge dieser Rechtsprechung ist die erhöhte Gefahr der vermehrten Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen an älteren geschützten Werken. So ist die Auskunft über den Inhaber der IP-Adresse bis dato häufig daran gescheitert, dass beispielsweise ein Lied aus den 70ern keiner sog. relevanten Auswertungsphase mehr zugeordnet wurde. Bei aktuellen Charthits wurde dies hingegen bejaht. Dies führte dazu, dass die Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen älterer z. B. Musiktitel mangels Ermittlung des IP-Inhabers scheiterten und „lediglich“ aktuelle Werke erfolgreich geahndet werden konnten. Dieser Zustand dürfte sich nunmehr ändern. Je nach Sichtweise ist dies entsprechend vor- bzw. nachteilig. Dogmatisch korrekt ist es zumindest.

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