Veröffentlichung der Afghanistan-Papiere
Das Bundesministerium für Verteidigung (BMVg) erstellt wöchentlich Lageberichte unter der Bezeichnung „Unterrichtung des Parlaments“ (UdP). Es unterrichtet das Parlament über die Auslandseinsätze der Bundeswehr und die dortigen Entwicklungen. Diese Lageberichte sind als Verschlusssache für den Dienstgebrauch eingestuft und entsprechend gekennzeichnet.
Auf dem BMVg unbekannte Weise gelangte die Westdeutsche Allgemeine Zeitung (WAZ) an einige solcher Lageberichte. Diese veröffentlicht sie seit 2012 auf einem Portal im Internet unter der Bezeichnung „Afghanistan-Papiere“.
Das BMVg befürchtete, dass die in den Lageberichten enthaltenen Informationen gegnerischen Kräften bekannt würden. Sie nahm die WAZ wegen Unterlassung in Anspruch. Nach Ansicht des Ministeriums würden ihm die ausschließlichen Nutzungsrechte an den Berichten zustehen.
Urheberrechtlicher Unterlassungsanspruch
Das Landgericht Köln gab dem BMVg mit Urteil vom 02. Oktober 2014 (Az.: 14 O 333/13) recht. Es ist der Auffassung, dass dem Ministerium ein urheberrechtlicher Unterlassungsanspruch nach § 97 Abs. 1 UrhG gegen die WAZ zusteht. Die Zeitung wurde daher verurteil, die militärischen Lageberichte nicht mehr im Internet zu veröffentlichen.
Geistige Schöpfungshöhe
Das Landgericht führt aus, dass die Lageberichte als Sprachwerke gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 UrhG urheberrechtlich schutzfähig seien. Die UdP würden einen hinreichenden Grad an geistiger Schöpfungshöhe aufweisen, welche sich aus der systematisierten und denknotwendig teilweise verkürzenden Aufbereitung der Sachinformationen ergebe, die einheitlich in allen Berichten einem bestimmten Konzeptionsmuster folge und auch visuell angepasst sei. Der Umstand, dass die einzelnen UdPs alle diesem Muster folgen würden, zeige, dass diesen ein „einheitliches gestalterisches Konzept“ zugrunde liege.
Die gewählte Form der Aufbereitung der Sachinformation trage dem Umstand Rechnung, dass sicherheitspolitische Informationen aus diversen Quellen zusammengefasst und für den nicht militärisch vorgebildeten Leser in verständlicher Form aufbereitet werden würden.
Veröffentlichungsrecht betroffen
Die WAZ habe in die dem BMVg – als Inhaber der ausschließlichen Nutzungsrechte – zustehenden Verwertungsrechte eingegriffen. Durch das Einstellen der UdP auf dem Internetportal sei das dem Urheber zustehende Veröffentlichungsrecht gemäß § 12 Abs. 1 UrhG betroffen. Dass die Veröffentlichung nur teilweise oder durch schlechte Reproduktion erfolgte, sei dabei unerheblich.
Der Eingriff in die dem BMVg zustehenden Rechte sei auch rechtswidrig gewesen.
Kein Zitat oder Berichterstattung über Tagesereignisse
Die Schrankenregelungen der §§ 50, 51 UrhG sei nicht einschlägig, sodass die Veröffentlichung der UdP nicht als Zitat oder als Berichterstattung über Tagesereignisse gerechtfertigt ist.
Eine Berichterstattung über Tagesereignisse liege schon deshalb nicht vor, weil es an einem Berichterstattungselement fehlt. Das Internetportal der WAZ beschränke sich weitestgehend darauf, die Berichte einzustellen und zum Abruf bereitzuhalten. Eine „journalistische Auseinandersetzung mit den einzelnen Inhalten der jeweiligen UdP“ finde jedoch nicht statt.
Ebenso wenig liege ein zulässiges Zitat vor: Insoweit fehle es bereits an eigenen referierenden Ausführungen auf dem Portal, für welche die eingestellten Lageberichte als Beleg dienen könnten. Die komplette Wiedergabe eines Dokumentes könne nicht mehr als Zitat angesehen werden.
Keine Rechtfertigung durch Presse- und Meinungsfreiheit
Die Veröffentlichung der UdP sei auch nicht durch die Presse- oder Meinungsfreiheit gerechtfertigt.
Die WAZ als Verlegerin von Tageszeitungen könne sich grundsätzlich auf das Grundrecht der Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 1, 2 i.V.m. Art. 19 Abs. 3 GG berufen. Ihrem Schutz unterfällt auch das Führen eines Online-Portals. Es liege jedoch schon kein Eingriff in den Schutzbereich der Pressefreiheit vor. Denn streitgegenständlich sei nicht die Frage, ob über die UdP berichtet werden darf, diese zitiert oder inhaltlich wiedergegeben werden dürfen, sondern allein, ob die konkreten Dokumente ins Internet gestellt werden durfte.
Eine andere Beurteilung ergebe sich auch nicht unter Berücksichtigung der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK): Dem urheberrechtlichen Unterlassungsanspruch kann grundsätzlich das durch Art. 10 EMRK geschützte Recht der freien Meinungsäußerung entgegenstehen. Dies setze aber voraus, dass sich derjenige, der in ein fremdes Urheberrecht eingreift, inhaltlich mit dem Werk auseinandergesetzt. Dies sei aber vorliegend nicht der Fall, da der angestrebte Zweck (Information der Öffentlichkeit über angebliche Diskrepanzen zwischen der öffentlichen Darstellung der Auslandseinsätze der Bundeswehr und der tatsächlichen Geschehnisse vor Ort) auch ohne vollständige Bereitstellung der Berichte hätte erreicht werden können. Die vollständige Wiedergabe der UdP auf der Internetseite der WAZ sei daher auch nicht durch die Meinungsfreiheit gerechtfertigt.
Reaktion der WAZ
Die WAZ scheint sich bisher von der Entscheidung des Landgerichts Köln nicht beeindrucken zu lassen. Die „Afghanistan-Papiere“ sind derzeit jedenfalls immer noch online einsehbar.
(Bild: © elnavegante – Fotolia.com)