AG Köln: Retweet eines Bildes ist keine Urheberrechtsverletzung

Die vom Amtsgericht Köln zu entscheidende Konstellation entsprach nicht der „klassischen“ Situation des Retweetens eines Beitrags des Rechteinhabers. Da der genaue Fall jedoch für das Verständnis der Reichweite der Entscheidung des Amtsgerichts von Bedeutung ist, dazu eine kurze Erläuterung:

Der klagende Rechteinhaber lud das gegenständliche Foto bei Twitter hoch. Eine dritte Person twitterte das Foto ebenfalls, indem sie das Bild erneut hochlud (und nicht retweetete). Die beklagte Person retweetete das Bild nun von dieser dritten Person (und nicht vom Account des Rechteinhabers). Hiergegen wendete sich der Kläger mit seiner Klage und verlangte die Zahlung vorgerichtlicher Rechtsanwaltsgebühren für die erfolgte Abmahnung. Eine Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung hatte der Beklagte vorgerichtlich bereits abgegeben. 

Die Klage des Rechteinhabers wies das Amtsgericht Köln zurück (AG Köln, Urteil v. 22. April 2021, Az.: 111 C 569/19).

Retweet ist keine „öffentliche Wiedergabe“

Das Gericht sieht in der Nutzungshandlung des Retweetens bereits keine öffentliche Wiedergabe im Sinne des § 15 Abs. 2 UrhG. Es stützt seine Auffassung dabei auf die Vorgaben des Europäischen Gerichtshofes in der Entscheidung „Svensson“ (EuGH, Urteil v. 13. Februar 2014, Az.: C-466/12).  Danach liege eine Wiedergabehandlung vor, wenn eine „recht große und unbegrenzte Anzahl an Personen erreicht und für ein neues Publikum wiedergegeben wird, das heißt für Publikum, an das der Inhaber des Urheberrechts nicht gedacht hatte, als er die ursprüngliche Wiedergabe erlaubte“. Anzuknüpfen sei daran, ob der Inhalt zuvor beschränkt oder unbeschränkt abrufbar war. Im zu entscheidenden Fall war das streitgegenständliche Porträtbild aufgrund des Uploads durch den Rechteinhaber auf Twitter bereits unbeschränkt abrufbar. Ein Inhalt, der jedoch bereits mit Zustimmung des Urhebers der Gesamtheit von Internetnutzern verfügbar war, könne nach Auffassung des Gerichts nicht erneut dieser Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden: 

Kann das Werk ohnehin von jedem Nutzer der Plattform eingesehen werden, weil der Nutzer, der das Werk ursprünglich veröffentlicht hat, die Privatsphäre-Einstellung auf der Plattform so gewählt hat, dass der Beitrag öffentlich also von jedermann einsehbar ist, liegt ein „neues Publikum“ nicht vor.

AG Köln, Urteil v. 22. April 2021, Az.: 111 C 569/19

Die Behauptung des Klägers, er habe das Bild nicht bei Twitter hochgeladen, wies das Gericht als verspätet zurück. Selbst wenn das Foto jedoch nicht vom Kläger selbst hochgeladen worden wäre, stelle der Retweet keine „öffentliche Wiedergabe“ dar. 

Würden ohne Zustimmung des Rechteinhabers hochgeladene Werke geteilt, hänge die Einordnung als „öffentliche Wiedergabe“ entscheidend davon ab, welche Möglichkeiten demjenigen, welcher das Bild retweetet hat, zur Verfügung standen, um die Rechtswidrigkeit des retweeteten Inhalts zu erkennen (vgl. EuGH, GRUR 2016, 1152 – GS Media). Lediglich bei einer mit Gewinnerzielungsabsicht gesetzten Verlinkung sei davon auszugehen, dass sich derjenige informiert, ob der Inhalt ordnungsgemäß hochgeladen wurde. In dem Fall spreche eine (widerlegliche) Vermutung für die Kenntnis der Widerrechtlichkeit des verlinkten Inhalts. Ohne Gewinnerzielungsabsicht sei zu ermitteln, ob der Linksetzer wusste oder hätte wissen können, dass der verlinkte Inhalt ohne Zustimmung des Internetnutzers hochgeladen wurde. Eine Gewinnerzielungsabsicht oder konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der Beklagte hätte erkennen können, dass der Retweet ohne Zustimmung des Rechtsinhabers erfolgte, sind im Verfahren nicht vorgetragen worden. 

Retweet nicht rechtswidrig aufgrund konkludenter Zustimmung

Das Amtsgericht leitete aus der Tatsache, dass der klagende Rechteinhaber das Foto bereits überhaupt einmal bei Twitter hochgeladen hatte, eine konkludente Zustimmung zur dortigen Weiterverbreitung in der konkreten Form (also Retweet eines anderen Uploads) ab:

Wer Texte und Fotos auf Social-Media-Plattformen wie Instagram und Twitter hoch lädt und sie im Profil öffentlich stellt, willigt konkludent in deren Weiterverbreitung auf der jeweiligen Plattform ein. Es entspricht der gängigen Praxis von Twitter, dass Inhalte und Bilder geteilt bzw. retweetet werden.

AG Köln, Urteil v. 22. April 2021, Az.: 111 C 569/19

Auch wenn diese Beobachtung grundsätzlich nicht falsch ist, erscheint der darauf basierende Schluss auf eine Einwilligung zu weitgehend. So wird dem Rechteinhaber bei dieser Annahme jegliche Möglichkeit genommen, gegen Nutzungen Dritter vorzugehen. Dies dürfte dem Grundgedanken einer restriktiven Handhabung von Urheberrechte einschränkenden Regelungen zuwiderlaufen. 

Beim direkten Retweet vom Account des Rechteinhabers aus dürfte dies freilich anders zu bewerten sein. Über diese Retweets hat der Rechteinhaber jedoch auch dahingehend eine Kontrollmöglichkeit, als dass die Inhalte verschwinden, wenn er seinen ursprünglichen Tweet entfernt. Dies gilt beim Retweet von fremden Accounts nicht.

Amtsgericht Köln über das Ziel hinausgeschossen?

Der vom Amtsgericht Köln vertretenen Auffassung, dass ein Foto, dass einmal den Weg in ein soziales Netzwerk gefunden hat (egal ob rechtmäßig oder unrechtmäßig), dort frei weiterverbreitet werden kann, widerspricht auch einer Entscheidung des Amtsgerichts München (Urt. v. 11. Dezember 2020, Az.: 142 C 7805/20). Dort war über eine Konstellation bei Facebook zu entscheiden, in der eine Fotografie beim Rechteinhaber zunächst herunter- und sodann im eigenen Account wieder hochgeladen wurde. Das Amtsgericht München sah für diese Nutzung kein hinreichendes Nutzungsrecht allein aufgrund der Tatsache, dass der Rechteinhaber die Fotografie ebenfalls einmal bei Facebook hochgeladen hatte.

Auch die seitens des Amtsgerichts herangezogene Rechtsprechung des EuGH zur Thematik des „Embeddings“ rechtfertigt eine derart weite Einschränkung der Urheberrechte nicht. Inhalte, die nicht vom Rechteinhaber selbst (im sozialen Netzwerk) eingestellt wurden, können nämlich auch nach der Rechtsprechung des EuGH ohne Weiteres erneut öffentlich wiedergegeben werden. Hierzu ist dann eine entsprechende Einwilligung des Rechteinhabers erforderlich:

Zweitens sieht Art. 3 III RL 2001/29 ausdrücklich vor, dass sich das Recht der öffentlichen Wiedergabe nach Art. 3 I dieser Richtlinie nicht mit den in dieser Vorschrift genannten Handlungen der öffentlichen Wiedergabe oder der Zugänglichmachung für die Öffentlichkeit erschöpft.

Ginge man aber davon aus, dass, wenn auf einer Website ein Werk eingestellt wird, das zuvor auf einer anderen Website mit der Zustimmung des Urheberrechtsinhabers wiedergegeben worden ist, dieses Werk keinem neuen Publikum zugänglich gemacht wird, liefe dies darauf hinaus, eine Regel über die Erschöpfung des Rechts der Wiedergabe aufzustellen.

Eine solche Regel widerspräche nicht nur dem Wortlaut von Art. 3 III RL 2001/29, sondern nähme dem Urheberrechtsinhaber die im zehnten Erwägungsgrund der Richtlinie genannte Möglichkeit, eine angemessene Vergütung für die Nutzung seines Werkes zu verlangen, obwohl, wie der Gerichtshof ausgeführt hat, der spezifische Gegenstand des geistigen Eigentums insbesondere den Inhabern der betreffenden Rechte den Schutz der Befugnis gewährleisten soll, das Inverkehrbringen oder die Zugänglichmachung der Schutzgegenstände dadurch kommerziell zu nutzen, dass gegen Zahlung einer Vergütung Lizenzen erteilt werden (vgl. in diesem Sinne EuGH, ECLI:EU:C:2011:631 Rn. 107 u. 108 = GRUR 2012, 156 – Football Association Premier League ua).

EuGH, Urt. v. 7. August 2018, AZ.: C-161/17

Danach kann der Retweet eines nicht vom Rechteinhaber selbst gepublishten Inhalts mit den Argumenten der „Embedding“-Rechtsprechung des EuGH nicht gerechtfertigt werden. Etwas anderes kann gelten, wenn vom Account des Rechteinhabers direkt geteilt wird (so auch Gerecke, GRUR 2019, 1120).

Rechtsunsicherheiten bleiben, Einschätzungen nur im Einzelfall möglich

Im Ergebnis wird man bei der Bandbreite an Entscheidungen und Argumenten die Frage nach der Zulässigkeit von Retweets, Reposts und anderen Nutzungshandlungen in sozialen Medien regelmäßig folgende Aspekte im Blick haben müssen:

  • Wurde das Bild vom Rechteinhaber bereits einmal im sozialen Netzwerk hochgeladen oder ist dies von einem Dritten (gegebenenfalls ungenehmigt) erfolgt?
  • Handelte der Bildnutzer mit Gewinnerzielungsabsicht?
  • Kann der Rechteinhaber durch eigene Handlung die Weiterverbreitung beeinflussen?

(Bild: EsaRiutta auf Pixabay)

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