Nachruf auf die aktuelle Abmahnung von Jens Weinreich

Der Online-Journalist Jens Weinreich berichtete letzte Woche von einer Abmahnung der Nachrichtenagentur dapd. Scheint die übernommene Textpassage urheberrechtlich geschützt zu sein, so ist die Höhe der Forderung jedenfalls zu hoch gegriffen: gefordert wurden 300 € als lizenzanaloger Schaden. Den Diskussionen um überzogene Abmahnungen wird damit Futter vor die Füße geworfen.

Worum es ging

In dem Schreiben vom 11.3.2012 wurde Herrn Weinreich vorgeworfen, in einem von ihm verfassten Artikel aus dem Jahre 2008 mit dem Titel  „Die Barrieren des Jürgen Emig“ eine Textstelle der Agentur AP Deutschland, welches die Urteilsgründe im damaligen Strafverfahren gegen Jürgen Emig zusammenfasst, unbefugter Weise verwendet zu haben. Deshalb sollte er für den übernommenen Text einen Betrag von 300 € nebst Dokumentationskosten und Zinsen sowie Anwaltskosten bezahlen. Insgesamt ein Betrag von 463,07 €.

Herr Weinreich kritisierte das Schreiben in seinem Blog heftig. Dabei ging es jedoch nicht um den Vorwurf an sich; er hatte immerhin zwei ganze Absätze mit fast 1.200 Zeichen ohne Erlaubnis in seinen Blog übernommen. Es ging vielmehr darum, dass die Zahlungsforderung auf Basis der Vergütungsregeln des Deutschen Journalistenverbandes berechnet worden sei, welche kaum eines der Medienunternehmen selbst einhielten. Auch nicht die Nachrichtenagentur dapd, die angeblich lediglich Dumpinglöhne zahlten. Herr Weinreich stellte das Original Anwaltsschreiben online und teilte mit, dass er die dapd zu einer Stellungnahme aufgefordert habe.

Zwischenzeitlich hat die dapd mitgeteilt, dass es sich bei der Abmahnung um ein Versehen gehandelt habe und die geltend gemachten Schadensersatzforderungen gegenstandslos seien. Man entschuldigte sich sogar bei Herrn Weinreich.

Keine Abmahnung im juristischen Sinne

Wollen wir den Fall einmal näher betrachten.

Zunächst fällt auf, dass hier die Bezeichnung „Abmahnung“ jedenfalls im strengen juristischen Sinne auf das Schreiben der dapd nicht zutrifft.

Es geht ein wenig unter, dass die dapd darauf verzichtet hat, den schärfsten und unangenehmsten der urheberrechtlichen Ansprüche, nämlich den Unterlassungsanspruch, geltend zu machen. Gefordert wurde eine Schadensersatzzahlung und die Löschung des betroffenen Textes. Dementsprechend fallen auch die geltend gemachten Anwaltskosten mit 45 € netto sehr moderat aus. Hätte die dapd eine „richtige“ Abmahnung ausgesprochen, hätten die entsprechenden Anwaltskosten schnell bei ca. 700 € netto gelegen.

So gesehen hat die dapd die sprichwörtliche „Kanone“ nicht „gezündet“, sondern sich auf die Geltendmachung von Beseitigung und Schadensersatz beschränkt.

War die Abmahnung (un)berechtigt?

Man könnte nun der Meinung sein, dass die Forderungen der Nachrichtenagentur bereits unberechtigt gewesen sind, da der übernommene Text entweder bereits kein urheberrechtlich schützenswertes Werk darstelle oder die Übernahme jedenfalls durch die Schranke der Zitierfreiheit gedeckt gewesen sei.

Man kann aber auch davon ausgehen, dass die Forderung der dapd dem Grunde nach durchaus berechtigt war.

Der Text als Werk

Der übernommene Text könnte ein nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 UrhG urheberrechtlich schutzfähiges Sprachwerk sein. Eine schöpferische Leistung kann auch in einer schwerpunktmäßigen Gliederung und/oder einer knappen und präzises Zusammenfassung fremder Aussagen liegen.

So entschied der Bundesgerichtshof im Jahre 1992, dass selbst so genannte nichtamtliche Leitsätze zu Gerichtsentscheidungen die erforderliche Schöpfungshöhe besitzen können, auch wenn diese lediglich aus einigen wenigen Sätzen bestehen. (BGH, Urteil vom 21.11.1991, Az. 1 ZR 190/89) Bezugnehmend auf diese Rechtsprechung hat das Oberlandesgericht Köln im Jahr 2008 diese Bewertung noch einmal bestätigt (OLG Köln, Beschluss vom 28.08.08, 6 W 110/08).

Darüber hinaus entschied das OLG Karlsruhe (Urteil vom 10.08.2011, Az.: 6 U 78/10), dass auch Nachrichtentexte im Ticker-Stil bereits die erforderliche Schöpfungshöhe erreichen können.

Auch wenn diese Entscheidung im Kern fragwürdig und zu recht umstritten ist (z. B. Internet-Law) so bleibt zumindest die Möglichkeit bestehen, dass auch der hier übernommene Text von der Rechtsprechung als urheberrechtlich schutzfähiges Werk gesehen wird. Zu einer Entscheidung wird es in diesem Fall jedoch wohl nicht mehr kommen.

Die Zitierfreiheit

Nimmt man an, der Text sei geschützt, käme zur Rechtfertigung der Übernahme hier lediglich die Zitierfreiheit in Betracht.

Es wird gerne übersehen, dass die Übernahme eines Sprachwerks als Zitat gem. § 51 UrhG immer nur dann zulässig ist, wenn diese vom sog. Zitatzweck gedeckt ist. D.h. das Zitat muss als Beleg des zitierenden Werkes, als dessen Erörterungsgrundlage oder zumindest dazu dienen, sich kritisch mit dem zitierten Werk auseinanderzusetzen.

Grundsätzlich muss das Zitat eine Belegfunktion aufweisen, d. h. es muss eine äußere und innere Verbindung zwischen dem eigenen und dem zitierten Werk bestehen. Diese Belegfunktion ist nicht gegeben, wenn der übernommene Text nicht dazu verwendet wird, eine vom Autor selbst erarbeitete These zu stützen oder sich damit auseinanderzusetzen, sondern dazu, die zusammengefassten Urteilsgründe in seinen eigenen Bericht zu übernehmen.

So ist zum Beispiel in Bezug auf die Übernahme von Bildern aus einem Fernsehbericht in Form von „Screenshots“ in einen Zeitungsartikel entschieden worden, dass dies nicht durch die Zitierfreiheit gedeckt ist, wenn sich der Zitierende eigene Ausführungen bzw. Bilder erspart und solche durch das (Bild-)Zitat ersetzt. (LG Berlin, Urteil vom 16.03.2000, Az. 16 S 12/99).

Aber auch der Umfang des Zitats spielt eine große Rolle. Je größer der Umfang wird, desto eher wird man geneigt sein, die Textstellen als Zitat abzulehnen.

Ist vor diesem Hintergrund die Übernahme eines fremden Textes unzulässig und geht sie über den Zitatzweck und den erlaubten Umfang hinaus, ist es völlig unerheblich, ob die so übernommene Textstelle als Zitat gekennzeichnet ist oder nicht. Eine solche Übernahme stellt eine Urheberrechtsverletzung dar.

Eine Angabe des Urhebers mildert die Rechtsverletzung allenfalls dahingehend, dass die Verdoppelung der Lizenzgebühr wegen Nichtnennung des Urhebers wegfällt.

Vor dieser rechtlichen Begründung muss man dem übernommen Text wohl durchaus urheberrechtlichen Schutz zusprechen.

Die Höhe der Vergütung ist unzumutbar

Hintergrund der Vergütungshöhe ist die Prüfung, was jemand hypothetisch zahlen würde, wenn er für den Text Geld gezahlt hätte. Um es sich zu vereinfachen, wird hierbei auf die Vergütungsregeln des DJV zurückgegriffen.

Jedem Urheber steht es zu, dass seine Leistung gewürdigt und vergütet wird. Das sollte außer Frage stehen. Es kommen jedoch ernsthafte Zweifel auf, wenn man sich die Vergütungshöhe anschaut, die hier verlangt wird: 300 €

Die dapd zahlt – bereits letztes Jahr heftig kritisiert – lediglich 77 € für bis zu acht Stunden bzw. soll die Sätze auf 100 € erhöht haben. Dass man dann allen Ernstes das Dreifache für einen solchen Text verlangt, der sicherlich in den 7 Stunden Arbeit zu schaffen war, ist unverständlich. Sicherlich kann man nicht die 100 € als „Maßstab“ nehmen, denn der Verwerter setzt – wie jeder Arbeitgeber im Geschäft etc. – immer eine Marge drauf. Auch 150 € scheinen noch hoch angesetzt, kommen dem wirklichen „Wert“ aber sicherlich näher.

Am Ende ist noch zu sagen:

In diesem Fall sind es nicht die Anwälte, die wegen ihres Profits an den Pranger gestellt werden (hier war der „Gewinn“ nicht einmal 40 Euro). Auch der tatsächliche Urheber sieht mit seinen ca. 100 Euro von dem Geld recht wenig.

Diese Abmahnung kam von der dapd und war dem Grunde nach berechtigt, entbehrt aber der Höhe nach einer akzeptablen Grundlage. Solch unsinnige Forderungen sind leider der Grund dafür, dass von „Abmahnindustrie“ gesprochen wird.

Es ist aber ebenso zu vermuten, dass die dapd nicht aus Rechtsgründen von ihren Ansprüchen Abstand genommen hat, sondern die auf einmal drohende Fäkalbö zum Einlenken bewegte bzw. vielleicht auch die oft bemühte Barbara Streisand ihre Finger im Spiel hatte.

Positiv anzumerken ist noch, dass diese Medienwirksamkeit dazu beiträgt, die bereits begonnene gesellschaftliche Diskussion über Sinn und Unsinn des modernen Urheberrechts fortzuführen. Wobei sie nicht dahin ausufern darf, dem (tatsächlichen) Urheber seine zustehende Vergütung bei widerrechtlichen Nutzungen der Werke abzusprechen. Auch den Verwertern steht bei Verletzung ohne Zweifel ein gewisser Betrag zu – ohne Verwerter gäbe es nämlich sicherlich weniger Urheber, die sich vermarkten könnten – aber bitte dann im Rahmen bleiben.

Dieser Beitrag wurde von unserem Gastautor Rechtsanwalt Arno Lampmann verfasst. Er ist Partner der Kanzlei Lampmann, Haberkamm & Rosenbaum in Köln und Fachanwalt für gewerblichen Rechtsschutz. Arno Lampmann hält sich für einen großen Teil des Jahres an der Westküste der USA in Eugene, Oregon auf und berät dort amerikanische Kreative, Hersteller und Handelsunternehmen in Bezug auf die Besonderheiten des deutschen Rechts. Seine eigene kreative Energie setzt er zusammen mit seinen Kanzleikollegen im LHR-BLOG in täglichen Berichten zu rechtlichen Themen aus den Bereichen eCommerce-Recht, Markenrecht, Wettbewerbsrecht, Urheberrecht sowie Presse- und Medienrecht, aber auch zu Alltäglichem aus der Anwaltskanzlei frei.

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