LG Frankfurt am Main: Gleichstellungsbeauftrage kann „relative“ Person der Zeitgeschichte darstellen

Leitsätze der Redaktion:

  1. Zum Bereich der Zeitgeschichte im Sinne von § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG gehören Vorgänge, die zwischen Tagesaktualität und Geschichte angesiedelt sind. Hierzu gehören beispielsweise öffentliche Sportveranstaltungen oder spektakuläre Strafverfahren.
  2. Neben absoluten Personen der Zeitgeschichte sind „relative“ Personen der Zeitgeschichte solche, die das öffentliche Interesse punktuell durch ein bestimmtes zeitgeschichtliches Ereignis auf sich gezogen haben oder im Zusammenhang mit diesem vorübergehend aus der Anonymität herausgezogen worden sind (z.B. Zeugen von parlamentarischen Untersuchungsausschüssen, Hauptgewinner im Lotto oder Mitglieder eines Wahlausschusses).
  3. Ein solches Hervortreten ist bei einer im Auftrag der Stadtverwaltung handelnden Gleichstellungsbeauftragten im Rahmen eines Familientages anzunehmen. Sie ist somit als „relative“ Person der Zeitgeschichte anzusehen.

LG Frankfurt am Main

Urteil

Aktenzeichen: 2-17 O 128/07

Datum: 04.03.2008

für Recht erkannt:

Die Klage wird abgewiesen. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 v. H. des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Klägerin macht Unterlassungsansprüche gegen die Beklagten wegen der Verbreitung einer fotografischen Abbildung der Klägerin als E-Mail Anhang sowie die Kosten geltend, die durch eine Abmahnung und die diesbezügliche Korrespondenz entstanden sind.

Die Klägerin ist in der Stadtverwaltung von E. Gleichstellungsbeauftragte. Im Rahmen ihrer Verwaltungstätigkeit hat sie an der Vorbereitung und Durchführung des vierten H. Familientags, der im Jahr 2007 in E. stattfand, mitgewirkt. An der Veranstaltung am 30. Juni 2007 nahm die Klägerin in dieser beruflichen Eigenschaft teil, trug einen Anhänger, der sie als Funktionsträgerin kennzeichnete, stand zusammen mit anwesenden Prominenten auf der Bühne und war auch ordnend tätig. Unter anderem versuchte sie, Mitglieder einer Elterninitiative, zu welcher die Beklagten gehören, zu bewegen ihren Standort auf dem Festplatz zu verlegen, weil diese mit ihren Plakaten vor der Kamera von R-M TV standen. Die Klägerin ließ sich bei der Veranstaltung mehrfach – jeweils als Teil einer Gruppe – zwecks Veröffentlichung ablichten.

Im Anschluss an den Familientag versendeten die Beklagten an 43 Mitglieder der Elterninitative eine E-mail mit der Bemerkung, im Anhang seien einige Impressionen vom Familientag. Der Anhang enthielt neben anderen Aufnahmen auch das hier streitgegenständliche Foto der Klägerin. Es war auf dem Familientag – von ihr unbemerkt – aufgenommen worden, als sie sich im Gespräch mit einer dritten Person befand. Die Klägerin ist darauf im Profil abgebildet, ihr Gesprächspartner und die Umgebung erscheinen nur bruchstückhaft am Rande. Am 10.07.07 ließ die Klägerin die Beklagten abmahnen und zugleich auffordern, eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abzugeben sowie Abmahnkosten in Höhe von 775,64 Euro zu begleichen.

Die Beklagten erklärten vor Ablauf der ihnen gesetzten Frist mit Schreiben ihrer Vertreter vom 18.07.2007, dass das Bild in keiner Weise mehr verwendet werden würde, gaben aber keine strafbewehrte Unterlassungserklärung ab.

Die Klägerin verfolgt ihre Begehren mit der Klage weiter. Die Klägerin beantragt, die Beklagten zu verurteilen,

es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung fälligen Ordnungsgeldes in Höhe von bis zu 250.000 Euro, ersatzweise Ordnungshaft oder Ordnungshaft zu unterlassen, das in Fotokopie als Anlage K1 der Klageschrift beigefügte Foto ohne Einwilligung der Klägerin zu verbreiten und/oder verbreiten zu lassen,

an die Klägerin jeweils 775,64 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 25.07.2007 zu bezahlen.

Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen.

Sie machen geltend, das Interesse der Klägerin sei in diesem Fall nicht schützenswert, weil zahlreiche andere Fotografien der Klägerin – auch unbemerkt aufgenommene – von ihr unbeanstandet in zahlreichen Veröffentlichungen erschienen seien.

Sie behaupten, die Bilddatei und etwaige Ausdrucke seien vernichtet worden, die E-mail- Empfänger seien gebeten worden entsprechend zu verfahren.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen

Entscheidungsgründe

Ein Anspruch auf ein strafbewehrtes Unterlassungsgebot aus § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB analog in Verbindung mit §§ 22, 23 KUG, Art. 1, 2 GG, § 890 II ZPO besteht unter Berücksichtigung des öffentlichen Auftritts der Klägerin auf dem Familientag nicht.

Die Klägerin erstrebt die Unterlassung erneuter Verbreitung des Fotos. An der für die Zubilligung eines solchen Anspruchs gegenüber den Beklagten notwendigen Voraussetzung einer Wiederholungsgefahr fehlt es. Die Beklagten haben bereits vorgerichtlich versichert keine Weiterverbreitung zu beabsichtigen. Ob sie die Bilddatei und eventuelle Ausdrucke tatsächlich vernichtet haben, braucht in diesem Zusammenhang nicht überprüft zu werden, denn hierauf richtet sich das Begehren der Klägerin nicht. Selbst wenn die Datei noch vorhanden wäre, bestünde eine – widerlegliche – Vermutung einer Wiederholungsgefahr nur, wenn überhaupt eine Persönlichkeitsrechtsverletzung stattgefunden hätte. Dies war jedoch nicht der Fall. Denn die Aufnahme und Weiterverbreitung des Fotos der Klägerin verletzte im damaligen Zusammenhang nicht deren Persönlichkeitsrecht, so dass aus diesen in der Vergangenheit liegenden rechtmäßigen Handlungen nicht die Gefahr einer künftigen unrechtmäßigen Veröffentlichung abgeleitet werden kann.

Zwar dürfen Bildnisse einer Person nach § 22 KUG grundsätzlich nur mit deren Einwilligung aufgenommen und verbreitet werden. Das Recht am eigenen Bild ist eine besondere Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Daraus ergibt sich, dass grundsätzlich allein der abgebildeten Person die Befugnis zusteht, darüber zu befinden, ob und in welcher Weise sie der Öffentlichkeit im Bild vorgestellt wird (ständige Rspr., vgl.BVerfG NJW 1973, 1226; BGH NJW 1996, 1128). Der Schutz vor Versendung von Bilddateien als E-mail Anhang an einen begrenzten Empfängerkreis darf dabei wegen der Gefahr der Weiterverbreitung und des „ewigen“ Vorhandenseins im Internet nicht geringer sein als der vor einer Veröffentlichung in der Presse.

Ohne Einwilligung des Betroffenen dürfen nur Bildnisse aus dem Bereich der Zeitgeschichte verbreitet oder zur Schau gestellt werden (§ 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG), sofern dadurch im Sinne von § 23 Abs. 2 KUG kein berechtigtes Interesse des Abgebildeten verletzt wird.

Mit diesem abgestuften Schutzkonzept trägt die Regelung sowohl dem auf Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG beruhenden Schutzbedürfnis des Einzelnen als auch den im Hinblick auf Art. 5 GG berechtigten Ansprüchen freier Meinungsäußerung in Wort, Schrift und Bild Rechnung (vgl. BVerfG NJW 2000, 1021, 1023).

Von diesen Grundsätzen ausgehend kann der Klägerin kein auf die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung gerichtetes Schutzbedürfnis zugebilligt werden.

Eine konkludente Einwilligung der Klägerin in die Weiterverbreitung des Fotos lag allerdings nicht vor. Auch wenn die Klägerin mit zahlreichen weiteren Aufnahmen von sich und deren Veröffentlichung einverstanden gewesen ist, kann daraus kein allgemeines Einverständnis mit der Weiterverbreitung jeglicher Aufnahmen von ihr abgeleitet werden.

Zulässig ist die Weiterleitung einer Bilddatei jedoch, wenn sie lediglich der Bebilderung einer Berichterstattung über ein Ereignis der Zeitgeschichte dient und damit selbst ein „Bildnis aus dem Bereich der Zeitgeschichte“ darstellt (BGH NJW 2007, 1997).

Die Abbildung der Klägerin gehörte in einem zeitlich und örtlich begrenzten Rahmen zum Bereich der Zeitgeschichte; das Informationsinteresse der angesprochenen Öffentlichkeit überwog in diesem Zusammenhang das allgemeine Persönlichkeitsrecht; bei ihrer Verbreitung wurde kein berechtigtes Interesse der Klägerin verletzt und es ist nicht ersichtlich, dass die Beklagten eine erneute aus dem Zusammenhang gerissene Weiterverbreitung beabsichtigen.

Mit dem Bereich der Zeitgeschichte im Sinne von § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG erfasst sind Vorgänge, die zwischen Tagesaktualität und Geschichte angesiedelt sein können. Hierzu gehören beispielsweise öffentliche Sportveranstaltungen, spektakuläre Strafverfahren. Der H. Familientag ist in diesem Sinne Zeitgeschichte, er war h-weit von allgemeinem Interesse. Dem personalen Bereich der Zeitgeschichte werden neben denjenigen, welche unabhängig von einzelnen Ereignissen auf Grund ihres Status und ihrer Bedeutung allgemeine öffentliche Aufmerksamkeit finden (sog. „absolute“ Personen der Zeitgeschichte, hierzu gehören die von Klägerseite genannten Prinz Ernst August von Hannover und Charlotte Casiraghi), auch Personen zugerechnet, die das öffentliche Interesse punktuell durch ein bestimmtes zeitgeschichtliches Ereignis auf sich gezogen haben oder im Zusammenhang mit diesem vorübergehend aus der Anonymität herausgezogen worden sind (sog. „relative“ Personen der Zeitgeschichte) wie beispielsweise Zeugen von parlamentarischen Untersuchungsausschüssen, Hauptgewinner im Lotto oder Mitglieder eines Wahlausschusses. Die Klägerin ist in ihrer Eigenschaft als Gleichstellungsbeauftragte der Stadt E. eine lediglich in einem begrenzten räumlichen Bereich und dort lediglich einer interessierten Öffentlichkeit bekannte Person. Im Zusammenhang mit dem H. Familientag war die Klägerin allerdings als „relative“ Person der Zeitgeschichte anzusehen, weil sie durch Bühnenpräsenz, Kennzeichnung und Tätigkeit bei diesem Ereignis gegenüber der anonymen Besuchermasse hervortrat.

Die Verbreitung ihrer Aufnahme in Verbindung mit diesem Ereignis entsprach einem öffentlichen Interesse an der Darstellung von Mitwirkenden des Familientages, wenn sie in dieser Funktion abgebildet wurde. Hier ergab sich bereits aus dem Schild, welches die Klägerin an einem Band um den Hals trägt, dass sie sich in offizieller Funktion dort befand. Deshalb durfte sie auch ohne ihre Einwilligung im Zusammenhang mit diesem Ereignis und zu dem Zweck abgebildet werden, über den Familientag zu informieren. Bei der Versendung der Bilddatei wurde der Zusammenhang mit dem H. Familientag durch den Text der E-mail hergestellt. Auch wenn es sich bei der Gesprächssituation, bei welcher die Klägerin abgelichtet wurde, gerade um ein privates Gespräch gehandelt haben mag, betrifft die Abbildung nicht die Privat- sondern lediglich die Sozialsphäre der Klägerin. Eine Gesprächsführung ist keine offensichtlich private Handlung, deren Ablichtung als indiskret erscheinen könnte. Im Rahmen der Abwägung nach § 23 KUG zwischen Persönlichkeitsrecht der Klägerin und Meinungsfreiheit (Art. 5 GG) der Beklagten ist auch zu berücksichtigen, dass die Klägerin für den Empfängerkreis der E-mail keine anonyme Person gewesen ist, die erst durch die Verbreitung des Bildes aus dieser Anonymität herausgerissen worden ist. Die Öffentlichkeit, an welche sich die Beklagten wendeten, war dabei eine begrenzte, nämlich lediglich die Mitglieder der Elterninitiative. Deren Interesse an der Person der Klägerin in Wort und Bild wurde nicht erst durch die Versendung per E-Mail in besonderer Weise begründet, sondern spätestens im Zusammenhang mit deren Auftreten in Ordnerfunktion gegenüber dem Stand der Elterninitiative. Dem Interesse des Empfängerkreises entsprach es, über die Anwesenheit der Klägerin auf dem Familientag zu informieren.

Hingegen blieb die Klägerin trotz der Versendung über das Internet für die breitere Öffentlichkeit anonym, weil eine Verknüpfung der konkreten versendeten Fotodatei mit dem Namen der Klägerin nicht ersichtlich ist.

Eine nach Abwägung ihres Persönlichkeitsrechts gegen die Meinungsfreiheit verbleibende Verletzung berechtigter Interessen der Klägerin ist nicht dargetan. Dabei war insbesondere zu berücksichtigen, dass die Klägerin sich im Rahmen ihres Berufs öffentlichkeitsorientiert für Gleichstellungsfragen engagiert, also durchaus in der Öffentlichkeit steht, so dass es für sie von Bedeutung ist, in welchem Zusammenhang ihr Bild verwendet wird. Hier ist nicht ersichtlich, dass eine der ihren entgegengesetzte Meinung durch die Bildverwendung ausgedrückt werden sollte. Auch ist die Art der Darstellung der Klägerin nach festgehaltener Pose, Mimik oder Gestik nicht geeignet, die Klägerin herabzusetzen; die Klägerin trägt dies selbst nicht vor.

Die Annahme eines überwiegenden Interesses der Beklagten an der Weiterverbreitung des Bildes der Klägerin gilt allerdings nicht schrankenlos. Den Beklagten sind insoweit zeitliche und inhaltliche Grenzen gesetzt. Zeitlich war die Verbreitung nur im unmittelbaren Anschluss an den Familientag als rechtmäßig zu bewerten, als an ihr als organisatorisch Mitwirkende ein begrenztes öffentliches Interesse bestand. Klarstellend sei hervorgehoben, dass inzwischen niemand – weder die Beklagten noch Empfänger dieser und ähnlicher Bilddateien – mehr ein überwiegendes Interesse an der Verbreitung hat. Darauf, ob die Bilddatei bei den Empfängern der E-mail noch vorhanden ist, kommt es bei der hiesigen Entscheidung nicht an. Denn insofern droht vorrangig nicht eine Weiterverbreitung durch die Beklagten, sondern eine rechtswidrige Weiterverbreitung durch Dritte, gegen die gesondert vorgegangen werden könnte und müsste.

Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagten die oben genannte zeitliche Grenze missachten liegen nicht vor. Ein entsprechender Schluss kann nicht daraus gezogen werden, dass die Beklagten sich geweigert haben, vorgerichtlich eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abzugeben, denn auf diese hatte die Klägerin ja gerade, wie oben ausgeführt, keinen Anspruch.

Weil die Klägerin gegen die Beklagten keinen Anspruch auf Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung hat und hatte, besteht auch kein Anspruch auf Ersatz ihrer vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten.

Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 709. ZPO.

Der Streitwert wird festgesetzt auf 10.000 Euro (§§ 48 Abs. 2 Satz 1 , 39 GKG, 3 ZPO), davon je 5.000 Euro für die einzelne verlangte Unterlassungserklärung der Beklagten 1 und des Beklagten 2. Die Umstände rechtfertigen nicht den Ansatz eines darüber hinausgehenden Gegenstandswertes. Als Orientierungswert dient der in § 52 Abs. 2 GKG bestimmte Regelstreitwert von 5.000 Euro für die Verwaltungs- Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit. Die Bedeutung der Sache für die Klägerin rechtfertigt kein Überschreiten dieses Wertes, vor allem wegen des Fehlens einer wirtschaftlichen Bedeutung.

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