BUNDESGERICHTSHOF
Im Namen des Volkes
Urteil
Aktenzeichen: VI ZR 153/13
Verkündet am: 27.05.2014
Leitsätze des Gerichts:
Bei der Deutung des Sinnes einer in einer Presseveröffentlichung enthaltenen Äußerung ist die Äußerung stets in dem Zusammenhang zu beurteilen, in dem sie gefallen ist. Sie darf nicht aus dem sie betreffenden Kontext herausgelöst einer rein isolierten Betrachtung zugeführt werden.
Tenor
Die Revision gegen das Urteil der 27. Zivilkammer des Landgerichts Berlin vom 26. Februar 2013 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
Von Rechts wegen.
Tatbestand
Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Freistellung von Rechtsanwaltskosten in Anspruch, die durch die außergerichtliche Geltendmachung eines Gegendarstellungs- und Widerrufsanspruchs entstanden sein sollen.
Die Beklagte ist Verlegerin einer deutschen Tageszeitung, die Klägerin war Chefredakteurin einer anderen deutschen Tageszeitung. Mit der Klägerin führten die Autoren des Buches „Die vierte Gewalt“ ein Interview, das Eingang in das Buch finden sollte. Die Klägerin verweigerte in der Folgezeit aber die Autorisierung des Interviews sowie ihr Einverständnis mit seinem Abdruck. Sie wies – zeitlich nach der Verweigerung der Autorisierung – gegenüber den Autoren allerdings auch darauf hin, dass das Interview „gut transkribiert“ sei.
Die Beklagte berichtete in der Ausgabe vom 9. Oktober 2008 der von ihr verlegten Zeitung über diesen Vorgang unter voller Namensnennung der Klägerin wie folgt:
„Die vierte Gewalt
[…]-Chefin lässt Buch stoppen B. M., die Chefredakteurin der […], hat das […] Buch „Die vierte Gewalt“ stoppen lassen, in dem sich ein Interview mit ihr befindet. Die Autoren […] versammeln in ihrem Band Interviews mit 26 Medienleuten, die sie nach ihren professionellen Maßstäben und privaten Ansichten befragen. Über die Autorisierung des Gesprächs mit B. M. kam es zum Streit. Die […]-Chefredakteurin fühlte sich von den Autoren schlecht behandelt, wie sie im Gespräch mit dieser Zeitung sagte. Die Autoren wiederum verwiesen darauf, dass M. die Abschrift des Gesprächs zunächst sogar gelobt habe und erst nach Monaten Probleme aufgetaucht seien. Strittig ist zwischen den Parteien die Frage, ob es der ausdrücklichen Autorisierung B. Ms. bedurfte, um das Interview abdrucken zu können oder nicht. Das ist vor dem Hintergrund, dass die [Name der Zeitung, deren Chefredakteurin die Klägerin war] vor fünf Jahren eine Kampagne gegen den Autorisierungswahn bei Presseinterviews betrieb, nicht ohne Pikanterie. Der Verlag muss das Interview nun aus dem Buch heraustrennen, […].“
Mit dem Vorwurf, die dem Artikel zu entnehmende Aussage, sie habe die Abschrift des Gesprächs zunächst gelobt und erst nach Monaten seien Probleme aufgetaucht, sei erweislich falsch, weil sie, zeitlich umgekehrt, zuerst die Autorisierung verweigert und erst dann die Transkription gelobt habe, nahm die Klägerin die Beklagte auf Unterlassung und – mit gesondertem Rechtsanwaltsschreiben vom 10. Oktober 2008 – auf Widerruf sowie Abdruck einer Gegendarstellung in Anspruch. Die Beklagte gab die geforderte Unterlassungserklärung ab, weigerte sich aber, die Gegendarstellung abzudrucken und den geforderten Widerruf zu erklären. Die Klägerin, die diese Ansprüche nicht weiterverfolgt hat, nimmt die Beklagte nunmehr auf Freistellung von der Forderung ihrer Rechtsanwälte in Höhe von 1.419,19 € zuzüglich Zinsen in Anspruch, die durch die anwaltliche Geltendmachung des Gegendarstellungs- und des Widerrufsanspruchs entstanden sein soll.
Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die dagegen gerichtete Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.
Gründe
I.
Das Berufungsgericht hat ausgeführt, der Klägerin stehe dem Grunde nach zwar ein Anspruch auf Freistellung von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten zu. Denn die Beklagte habe das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Klägerin verletzt. Die von der Klägerin vorliegend geltend gemachten Kosten stellten aber keinen ersatzfähigen Schaden i.S.d. §§ 249 ff. BGB dar. Ein Anspruch auf Erstattung der für die Aufforderung zur Gegendarstellung angefallenen Kosten scheitere jedenfalls daran, dass die Beklagte zum Abdruck einer der beiden ihr zugeleiteten Versionen der Gegendarstellung nicht verpflichtet gewesen sei. Denn beide Versionen beschränkten sich nicht auf eine Erwiderung auf die Ausgangsmitteilung. Die erste Version der Gegendarstellung sei darüber hinaus auch ihrem Umfang nach nicht angemessen. Erstattung der für die Aufforderung zum Widerruf angefallenen Kosten könne die Klägerin nicht verlangen, da die Beklagte lediglich die Äußerung eines Dritten wiedergegeben habe. In Betracht komme insoweit lediglich eine Distanzierung, die die Klägerin aber nicht verlangt habe.
II.
Das angefochtene Urteil hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung im Ergebnis stand.
1. Entgegen der Auffassung der Revision unterliegt das Berufungsurteil nicht wegen unterbliebener Wiedergabe der Berufungsanträge der Aufhebung.
Zutreffend ist freilich, dass ein Berufungsurteil, das das Berufungsbegehren nicht erkennen lässt, nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in der Revisionsinstanz bereits aus diesem Grund aufzuheben ist (Senatsurteil vom 30. September 2003 – VI ZR 438/02, BGHZ 156, 216, 217 f.; BGH, Urteile vom 25. Mai 2011 – IV ZR 59/09, VersR 2011, 1005 Rn. 8 f.; vom 13. Januar 2004 – XI ZR 5/03, NJW-RR 2004, 573 f.; vom 22. Dezember 2003 – VIII ZR 122/03, NJW-RR 2004, 494; vom 26. Februar 2003 – VIII ZR 262/02, BGHZ 154, 99, 100 f.). Es bedarf dabei aber nicht zwingend einer wörtlichen Wiedergabe der Berufungsanträge. Vielmehr reicht es aus, wenn dem Berufungsurteil das Berufungsbegehren mit hinreichender Deutlichkeit entnommen werden kann (BGH, Urteil vom 25. Mai 2011 – IV ZR 59/09, VersR 2011, 1005 Rn. 10). Dies ist vorliegend (noch) der Fall.
Im Berufungsurteil wird ausgeführt, das angefochtene Urteil sei zu bestätigen, weil das Amtsgericht die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen habe, denn die Klägerin habe gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Freistellung von den geltend gemachten vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten. Diese Ausführungen und das gleichzeitige Fehlen jeglicher Anhaltspunkte im Berufungsurteil, dass die Klägerin zweitinstanzlich mehr oder weniger als in erster Instanz gefordert haben könnte, lassen einen noch hinreichend sicheren Schluss darauf zu, dass die Klägerin ihr erstinstanzliches Begehren, das sich aus den vom Berufungsurteil in Bezug genommenen tatbestandlichen Feststellungen des amtsgerichtlichen Urteils ergibt, in zweiter Instanz unverändert weiterverfolgt hat.
2. In der Sache steht der Klägerin der geltend gemachte Freistellungsanspruch bereits dem Grunde nach nicht zu.
a) Ein Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG besteht nicht. Es fehlt bereits an einem Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Klägerin.
aa) Zu den Schutzgütern des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zählt die soziale Anerkennung des Einzelnen. Es umfasst den Schutz des Einzelnen vor Äußerungen, die geeignet sind, sich abträglich auf sein Bild in der Öffentlichkeit auszuwirken (Senatsurteil vom 25. Oktober 2011 – VI ZR 332/09, VersR 2012, 66 Rn. 21 mwN; BGH, Beschluss vom 16. Oktober 2013 – XII ZB 176/12, NJW 2014, 61 Rn. 28). Ob eine Äußerung eine solche Eignung besitzt, hängt davon ab, welcher Aussagegehalt ihr zukommt. Bei der mithin notwendigen Sinndeutung, die in vollem Umfang der Nachprüfung durch das Revisionsgericht unterliegt (vgl. nur Senatsurteile vom 3. Februar 2009 – VI ZR 36/07, VersR 2009, 555 Rn. 12; vom 11. März 2008 – VI ZR 189/06, VersR 2008, 695 Rn. 11; vom 22. November 2005 – VI ZR 204/04, VersR 2006, 382 Rn. 14; jeweils mwN), ist zu beachten, dass die Äußerung stets in dem Zusammenhang zu beurteilen ist, in dem sie gefallen ist. Sie darf nicht aus dem sie betreffenden Kontext herausgelöst einer rein isolierten Betrachtung zugeführt werden (vgl. Senatsurteile vom 22. September 2009 – VI ZR 19/08, VersR 2009, 1545 Rn. 11; vom 11. März 2008 – VI ZR 7/07, VersR 2008, 793 Rn. 20; vom 28. Juni 1994 – VI ZR 252/93, VersR 1994, 1120, 1121; BVerfG, NJW 2013, 217 Rn. 20 jeweils mwN).
bb) Danach ist die angegriffene Berichterstattung nicht geeignet, sich abträglich auf das Bild der Klägerin in der Öffentlichkeit auszuwirken. Zwar mag es zutreffen, dass der von der Klägerin beanstandete Satz isoliert betrachtet den Eindruck vermittelt, die Klägerin habe sich widersprüchlich verhalten, indem sie die Veröffentlichung eines von ihr ursprünglich für gut befundenen Beitrags plötzlich aus nicht weiter nachvollziehbaren Motiven verhindert habe, was auf die – gerade in der beruflichen Position der Klägerin – negativen Charaktereigenschaften der Unzuverlässigkeit und der Wankelmütigkeit hindeuten könnte. Im Gesamtzusammenhang des Artikels tritt dieser Aussagegehalt aber völlig in den Hintergrund. Aus der maßgeblichen Sicht des Durchschnittsempfängers (vgl. Senatsurteil vom 15. November 1994 – VI ZR 56/94,BGHZ 128, 1, 6 mwN) ist Gegenstand des Artikels die – zunächst neutrale – Darstellung eines Streits über die Autorisierung des von der Klägerin gegebenen Interviews. Hierzu werden dem Leser die unterschiedlichen Positionen der Klägerin einerseits und der Autoren des Buches „Die vierte Gewalt“ andererseits mitgeteilt. Daran anknüpfend wird darauf hingewiesen, dass sich die Klägerin mit ihrem Verhalten in Widerspruch zu einer von „ihrer“ Zeitung betriebenen „Kampagne gegen den Autorisierungswahn bei Presseinterviews“ setzt. Hierin liegt der eigentliche im Artikel gegenüber der Klägerin erhobene Vorwurf. Er knüpft alleine daran an, dass die Klägerin durch die Verweigerung der Autorisierung eines von ihr gegebenen Interviews dessen Veröffentlichung verhindert hat, sie sich also, wenn es um sie persönlich geht, in einer Weise verhält, die gerade von „ihrer“ Zeitung im Rahmen einer „Kampagne“ kritisiert wurde. Dieser Vorwurf ist aber völlig unabhängig von der Frage, in welcher zeitlichen Reihenfolge sie einerseits die Autorisierung verweigert und andererseits die Transkription gelobt hat.
b) Da der streitgegenständlichen Äußerung ein die Klägerin herabwürdigender Aussagegehalt nicht entnommen werden kann, scheidet auch ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 186 StGB aus.
Galke Diederichsen Stöhr von Pentz Offenloch Vorinstanzen:
AG Berlin-Tempelhof-Kreuzberg, Entscheidung vom 05.10.2012 – 22 C 259/11 –
LG Berlin, Entscheidung vom 26.02.2013 – 27 S 13/12 –