VG Hannover zur Videoüberwachung im öffentlichen Raum

Leitsätze des Gerichts:

  1. Die permanente Videoüberwachung, die aufgrund der technischen Möglichkeiten der eingesetzten Kameras die Erhebung personenbezogener Daten zu jeder Tag- und Nachtzeit ermöglicht, stellt auch dann einen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung dar, wenn die Daten nicht gespeichert werden.
  2. Die von § 32 Abs. 3 Satz 1 Nds. SOG geforderte Offenheit der Datenerhebung ist nur dann hergestellt, wenn der von der Videoüberwachung im öffentlichen Raum erfasste Überwachungsbereich am Ort der Überwachung für die Betroffenen erkennbar ist.
  3. Die Veröffentlichung der Standorte von Überwachungskameras im Internet genügt nicht, um die Offenheit der Videoüberwachung sicherzustellen.

 

Verwaltungsgericht Hannover

Urteil

Aktenzeichen: 10 A 5452/10

Verkündet am: 14.07.2011

Aus dem Entscheidungstext

Der Beklagte wird verurteilt, in F. die Beobachtung öffentlich zugänglicher Orte mittels Bildübertragung – mit Ausnahme der reinen Verkehrsbeobachtung – sowie die Aufzeichnung dieser Bilder zu unterlassen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Insoweit ist die Entscheidung vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.

Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger wendet sich mit seiner Klage gegen die Videoüberwachung des öffentlichen Raums in F., soweit sie nicht zum Zwecke der reinen Verkehrsüberwachung erfolgt.

Die Polizeidirektion F. überwacht auf Grundlage des § 32 Abs. 3 Satz 1 u. 2 des Niedersächsischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (Nds. SOG) mit insgesamt 78 Kameras den öffentlichen Raum an verschiedenen Orten in der Innenstadt G., auf dem Messegelände und entlang der Hauptverkehrsrouten.

Der Ausbau der im Jahr 1959 aufgenommenen reinen Verkehrsüberwachung erfolgte in einem ersten Schritt in den 1970er Jahren auf 19 Kameras und zwei mobile Kamerasysteme sowie Kameras zur Flughafenüberwachung in H.. In einem zweiten Schritt wurde das Überwachungssystem anlässlich der Fußballweltmeisterschaft im Jahre 2006 auf den derzeitigen Umfang erweitert. Zum ersten Mal wurden die Bildsignale im Jahr 2004 aufgezeichnet. Die derzeit eingesetzten Kameras sind alle mit einer Aufzeichnungstechnik ausgestattet. Alle Kameras sind schwenkbar und verfügen über eine Zoomfunktion.

Die Bildsignale der Kameras werden in die Lage- und Führungszentrale der Polizeidirektion F. übertragen. Soweit die übertragenen Bilder auch aufgezeichnet werden, was bei weniger als der Hälfte der Kameras der Fall ist, erfolgt die Aufzeichnung auf einem Ringspeicher, so dass sie aus technischen Gründen nach fünf Tagen und fünf Stunden überschrieben wird.

Unter der Adresse http://www.polizei.niedersachsen.de/dst/pdhan/verkehr/  sind auf der Internetseite der Polizeidirektion F. die Standorte aller Kameras vermerkt. Es finden sich auch Abbildungen der Kameras auf der Liste. Kameras mit aktivierter Aufzeichnungstechnik sind mit einem Kreissymbol und dem Zusatz „Rec“ gekennzeichnet.

Seit dem Jahr 2007 überprüft die Polizeidirektion F. die Kamerastandorte hinsichtlich der Kriminalitätsentwicklung in Bezug auf Straftaten von erheblicher Bedeutung und auf gefährliche Körperverletzungsdelikte sowie auf die mögliche Begehung terroristischer Straftaten an oder in besonders gefährdeten Objekten und entscheidet auf der Grundlage des Überprüfungsergebnisses, ob die Aufzeichnungstechnik der jeweiligen Kamera aktiviert wird.

Der Kläger, der in I. lebt, ist Mitglied der Bürgerinitiative „J. „, Ortsgruppe F., die sich mit verschiedenen datenschutzrechtlichen Themen befasst. Im Juni 2010 wandte sich der Kläger an den Polizeipräsidenten mit der Forderung, die Kameras zu beschildern. Die Polizeidirektion F. lehnte diese Forderung mit Schreiben vom 07.07.2010 mit der Begründung ab, eine Rechtspflicht zur Kennzeichnung der Kameras ergebe sich weder aus dem Niedersächsischen Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung noch aus dem Verhältnismäßigkeitsprinzip. Auch durch eine Kennzeichnung ließe sich nämlich nicht erreichen, dass alle oder jedenfalls das Gros der von der Videoüberwachung Betroffenen diese wahrnähmen. Der grundrechtswahrende Effekt von Kennzeichnungen bleibe eher zufällig und begrenzt. Schließlich komme eine Kennzeichnung auch im Hinblick auf die Straftatenprävention nicht in Betracht. Kennzeichnete man die Kameras, würde die Präventivwirkung zwar verstärkt, potentielle Straftäter könnten aber erkennen, in welchen Bereichen außerhalb der Überwachung das Entdeckungsrisiko ihrer Straftaten deutlich geringer sei. Diese Wirkung der Kennzeichnung widerspräche indes dem Sinn und Zweck der Videoüberwachung.

Der Kläger hat am 25.10.2010 Klage erhoben.

Er macht im Wesentlichen geltend, er halte sich aus privaten Gründen häufig an verschiedenen Orten in F. auf und sei durch die Videoüberwachung, insbesondere durch die Bildaufzeichnung, in seinem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung verletzt. Die Videoüberwachung sei rechtswidrig, weil sie nicht „offen“ i.S.d. § 32 Abs. 3 Satz 1 Nds. SOG erfolge. Die Kameras seien nicht alle erkennbar; insbesondere an den Standorten K., L., M., N., O., P., Q., R. und S. seien die Kameras an oder auf hohen Häusern angebracht und dem Blick entzogen. An zahlreichen anderen Standorten seien sie auf hohen Pfeilern angebracht und damit ebenfalls außerhalb des Blickfeldes von Passanten. Nur wenn die Kameras und deren Reichweite gekennzeichnet würden, wäre die Überwachung „offen“. Die Veröffentlichung der Standorte und der Aufnahmen der Kameras auf der Internetseite der Polizeidirektion F. reiche als Kennzeichnung nicht aus, weil den Bürgern nicht zugemutet werden könne, sich vor einem Aufenthalt in der Innenstadt über Überwachungsmaßnahmen zu informieren. Sofern sich eine Kennzeichnungspflicht nicht direkt aus § 32 Abs. 3 Nds. SOG ergebe, folge sie aus § 25a Abs. 3 des Niedersächsischen Datenschutzgesetzes, der jedenfalls entsprechend anwendbar sei. Die Praxis aus T. zeige überdies, dass eine Kennzeichnung ohne weiteres möglich sei.

Der Kläger beantragt,

dem Beklagten zu untersagen, in F. auf öffentlichen Plätzen und Straßen mittels Bildübertragung zu beobachten und Bildaufzeichnungen von Personen anzufertigen,

hilfsweise,

den Beklagte zu verurteilen, in F. auf öffentlichen Plätzen und Straßen, an denen der Beklagte beobachtet und Bildaufzeichnungen von Personen anfertigt, durch Hinweisschilder den räumlichen Bereich, der von den Beobachtungen und Bildaufzeichnungen betroffen ist, zu kennzeichnen,

wobei nicht die Beobachtung mit denjenigen Kameras gemeint ist, die ausschließlich der Überwachung des fließenden Verkehrs dienen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen,

und erwidert, ein Unterlassungsanspruch des Klägers bestehe nicht, weil die Videoüberwachung im Einklang mit § 32 Abs. 3 Nds. SOG stehe. Sie erfolge „offen“ im Sinne dieser Vorschrift. Offen sei eine Beobachtungsmaßnahme dann, wenn die Überwachung für den Bürger erkennbar sei. Die Erkennbarkeit könne nach der einschlägigen obergerichtlichen Rechtsprechung durch eine hinreichende Wahrnehmbarkeit der Aufnahmekameras, aber auch durch entsprechende Presseveröffentlichungen gewährleistet werden. Die Offenheit sei durch die Sichtbarkeit der Kameras und durch die Veröffentlichung ihrer Standorte im Internet gewährleistet. Zur Offenheit der Überwachung gehöre indes nicht, dass ihre Reichweite oder ihr Einzugsbereich erkennbar seien. Aufgrund des fließenden Übergangs zwischen überwachtem und nicht überwachtem Bereich könne unter dem Gesichtspunkt der Personenindividualisierung nicht gefordert werden, dass der Bürger mittels Hinweisschildern oder in sonstiger Weise in die Lage versetzt werde, die tatsächlichen Grenzen des überwachten Bereichs konturenscharf zu erkennen. Eine weitergehende Kennzeichnungspflicht folge auch nicht aus § 25a NDSG. Die Vorschrift sei schon deshalb nicht analog anwendbar, weil es keine Regelungslücke in § 32 Nds. SOG gebe. Mit dem Merkmal der Offenheit habe der Landesgesetzgeber in abschließender Weise einen angemessenen Ausgleich zwischen dem Gemeinwohlinteresse der Gefahrenabwehr und Gefahrenprävention und dem Recht des Betroffenen auf informationelle Selbstbestimmung getroffen. Im Hinblick auf den Zweck der Überwachung sei diese in F. ermessensfehlerfrei und insbesondere verhältnismäßig. Der aktuelle Forschungsstand zeige, dass die Überwachung wesentlich dazu beitrage, Straftaten zu verhindern oder aufzuklären. Das Grundrecht des Klägers auf informationelle Selbstbestimmung müsse hinter dem Präventions- und Strafverfolgungsinteresse zurücktreten.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten und der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen. Sämtliche Akten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist in dem zur Entscheidung gestellten Umfang, den die Kammer dem Vorbringen des Klägers entnommen hat und der in der mündlichen Verhandlung vom Kläger bestätigt worden ist, zulässig.

Die mit dem Hauptantrag verfolgte Klage ist als Leistungsklage in Form der Unterlassungsklage statthaft, weil sie sich gegen die Bildbeobachtung und -aufzeichnung und damit gegen schlicht-hoheitliches Handeln wendet (vgl. VGH Ba.-Wü., Urt. v. 21.07.2003 – 1 S 377/02 -, NVwZ 2004, 498, m.w.N.).

Der Kläger ist entsprechend § 42 Abs. 2 VwGO auch klagebefugt. Er macht mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG, das die Befugnis des Einzelnen gewährleistet, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen (BVerfGE 65, 1, 42 f. – „Volkszählung“), ein subjektiv-öffentliches Recht geltend. Der Kläger kann sich nicht nur auf eine mögliche Verletzung seines Rechts auf informationelle Selbstbestimmung durch die Aufzeichnung der übermittelten Bilder berufen, sondern bereits durch die bloße Beobachtung mittels Bildübermittlung.

Aufgrund der technischen Möglichkeiten, erhobene Daten zu speichern, auszuwerten und mit anderen Datenbeständen abzugleichen, sind durch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung nicht nur nach ihrer Art sensible Daten geschützt, sondern auch solche mit einem nur geringen Informationsgehalt (vgl. BVerfGE 65, 1, 45; BVerfG, Beschl. v. 13.06.2007 – 1 BvR 1550/03 -, NJW 2007, 2464, 2466; BVerfGE 120, 378, 398). Auch entfällt der grundrechtliche Schutz nicht schon deshalb, weil der Einzelne sich in die Öffentlichkeit begibt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 23.02.2007 – 1 BvR 2368/06 -, NVwZ 2007, 688, 690 f.). Ein Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist durch Datenerfassungen lediglich dann nicht begründet, soweit die Daten unmittelbar nach der Erfassung technisch wieder spurenlos, anonym und ohne die Möglichkeit, einen Personenbezug herzustellen, ausgesondert werden (vgl. BVerfGE 100, 313, 366; 107, 299, 328; 115, 320, 343; 120, 378, 399).

Nach dieser Maßgabe greift die Bildaufzeichnung in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ein, weil personenbezogene Daten gespeichert und für die weitere Verwertung bereit gehalten werden (vgl. nur BVerfGE 120, 378, 400 f.; BVerfG, NVwZ 2007, 688; VGH Ba.-Wü., Urt. v. 21.07.2003, a.a.O., S. 500; OVG Hamburg, Urt. v. 22.06.2010 – 4 Bf 276/07 -, NordÖR 2010, 498, 499 f.).

Unter den Bedingungen der von dem Beklagten eingesetzten Kameratechnik ist das Recht auf informationelle Selbstbestimmung nach Überzeugung der Kammer darüber hinaus bereits durch die bloße Beobachtung mittels Bildübertragung in die Leitzentrale der Polizeidirektion F. beeinträchtigt (so auch VGH Ba.-Wü., a.a.O., S. 500, m.w.N.; OVG Hamburg, Urt. v. 22.06.2010, a.a.O., S. 500; a. A. Saipa, Kommentar zum Niedersächsischen Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung, Stand: Juli 2010, Nds. SOG § 32 Rz. 4; Ipsen, Niedersächsisches Polizei- und Ordnungsrecht, 4. Aufl. 2010, Rz. 496).). Die Überwachungskameras gestatten nicht nur durch ihre um mehrere Meter erhöhte Installierung einen Übersichtsblick, sie sind überdies schwenkbar und mit einer Zoomfunktion ausgestattet. Dies ermöglicht eine gegenüber dem menschlichen Auge großflächigere und intensivere Beobachtung. Die Beobachtung kann darüber hinaus zu jeder Tages- und Nachtzeit stattfinden. Die Bildübertragung in die Lage- und Führungszentrale der Polizeidirektion F. bietet überdies die Möglichkeit der zeitgleichen Auswertung der Bilder. Dass die Polizeidirektion das Gros der übertragenen Bilder nicht auswertet, sondern nach Angaben des Beklagtenvertreters in der mündlichen Verhandlung regelmäßig nur anlassbezogen auf einen der vier zur Verfügung stehenden Monitore zur Auswertung „aufschaltet“, gibt nur Aufschluss auf den derzeit praktizierten Umgang des Beklagten mit den erhobenen Daten, nicht aber über die tatsächlichen Auswertungsmöglichkeiten. Die Auswertungsmöglichkeiten in Echtzeit begründen nach Auffassung der Kammer die Eingriffsqualität der Beobachtung; um einen bloßen „Wahrnehmungsschutz“ (so Ipsen, a.a.O) geht es hier also nicht (mehr). Bei dieser Wertung hat die Kammer auch in Rechnung gestellt, dass die anlasslose, großflächige Bildbeobachtung der Bevölkerung nicht nur ein Gefühl der Sicherheit geben soll (s. LT-Drs. 14/2788, S. 8) und vermutlich auch gibt, sondern dass sie als Kehrseite des Sicherheitsgefühls auch Einschüchterungseffekte haben kann, die zu Beeinträchtigungen bei der Ausübung von Grundrechten führen können (vgl. BVerfGE 65, 1, 42; 113, 29, 46). Denn die Unbefangenheit des Verhaltens wird gefährdet, wenn die Streubreite von Ermittlungsmaßnahmen dazu beiträgt, dass Risiken des Missbrauchs und ein Gefühl des Überwachtwerdens entstehen (vgl. BVerfGE 107, 299, 328; 115, 320, 354 f.).

Da der Kläger schlüssig vorträgt, dass sich wichtige Bereiche seines Privatlebens in F. abspielten, ist es nicht ausgeschlossen, dass er durch den Betrieb der Videoüberwachung des öffentlichen Raums in seinem Grundrecht nachteilig betroffen sein kann. Dabei hat die Kammer keine Anhaltspunkte dafür, einzelne Überwachungskameras des Beklagten hiervon mit der Begründung auszunehmen, es sei offensichtlich, dass der Kläger von diesen unter keinen Umständen erfasst werden könnte.

Für die Klage besteht auch ein Rechtsschutzbedürfnis, weil der Beklagte vor Klageerhebung mit dem Begehren des Klägers aufgrund seines Schreibens vom 01.06.2010 damit befasst war und erklärt hat, die Videoüberwachung im Zuständigkeitsbereich der Polizeidirektion F. in der bisherigen Form fortführen zu wollen.

Die Klage ist mit dem Hauptantrag begründet.

Rechtsgrundlage des Unterlassungsanspruchs ist § 32 Abs. 3 Nds. SOG. Nach § 32 Abs. 3 Satz 1 Nds. SOG dürfen die Verwaltungsbehörden und die Polizei öffentlich zugängliche Orte mittels Bildübertragung offen beobachten, wenn dies zur Erfüllung von Aufgaben nach § 1 Abs. 1 Nds SOG, mithin zur Gefahrenabwehr und Gefahrenvorsorge, erforderlich ist. Nach § 32 Abs. 3 Satz 2 Nds. SOG kann die Polizei die übertragenen Bilder nach Satz 2 aufzeichnen, wenn (erstens) Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass an den beobachteten Orten oder in deren unmittelbarer Umgebung künftig Straftaten von erheblicher Bedeutung oder Straftaten nach § 224 StGB begangen werden, oder soweit (zweitens) die Bilder an oder in einer Verkehrs- oder Versorgungsanlage, einer Verkehrs- oder Versorgungseinrichtung, einem öffentlichen Verkehrsmittel, Amtsgebäude oder einem anderen besonders gefährdeten Objekt aufgenommen werden und tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass an oder in Objekten dieser Art terroristische Straftaten begangen werden. Zweck der Vorschrift ist es (auch), den Einzelnen davor zu schützen, dass er durch eine unzulässige Datenerhebung im öffentlichen Raum in seinem Persönlichkeitsrecht beeinträchtigt wird. Diese Schutzrichtung ergibt sich aus der datenschutzrechtlichen Zielrichtung, die den Regelungen des 2. Abschnitts des Niedersächsischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung zugrunde liegt und die sich insbesondere in den Grundsätzen der Datenerhebung nach § 30 Nds. SOG niedergeschlagen hat. Diese Zielrichtung verbietet eine Auslegung der Vorschrift im Sinne einer objektivrechtlichen Befugnisnorm ohne Anspruchscharakter.

Wollte man § 32 Abs. 3 Nds. SOG keinen derartigen Inhalt beimessen, könnte sich der Kläger jedenfalls auf einen Unterlassungsanspruch aus seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung berufen (vgl. OVG Hamburg, Urt. v. 22.06.2010, a.a.O., S. 499). Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung ist zwar nicht schrankenlos gewährleistet; der Einzelne muss jedoch nur solche Beschränkungen dieses Rechts hinnehmen, die auf einer verfassungsmäßigen gesetzlichen Grundlage beruhen und die den Vorgaben dieser gesetzlichen Grundlage entsprechen.

Ob § 32 Abs. 3 Nds. SOG eine derartige verfassungsmäßige gesetzliche Grundlage darstellt – und damit dem Kläger nicht nur einen Unterlassungsanspruch gegen gesetzwidrige Maßnahmen des Beklagten vermittelt, sondern von letzterem als Rechtsgrundlage für die Maßnahmen der Videoüberwachung herangezogen werden kann – hält die Kammer für fraglich. Sie hegt Bedenken hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit insbesondere von § 32 Abs. 3 Satz 1 Nds. SOG. Selbst unter Berücksichtigung der geringen Eingriffstiefe einer offenen Beobachtung im öffentlichen Straßenraum genügt die Vorschrift jedenfalls nach ihrem Wortlaut nicht den Anforderungen, die das Bundesverfassungsgericht an die Bestimmtheit und Normenklarheit einer Rechtsgrundlage stellt, die Behörden zu Eingriffen in Grundrechte der Bürger ermächtigt.

Das Bestimmtheitsgebot soll sicherstellen, dass der demokratisch legitimierte Parlamentsgesetzgeber die wesentlichen Entscheidungen über Grundrechtseingriffe und deren Reichweite selbst trifft, dass Regierung und Verwaltung im Gesetz steuernde und begrenzende Handlungsmaßstäbe vorfinden und dass die Gerichte eine wirksame Rechtskontrolle durchführen können. Ferner erlauben die Bestimmtheit und Klarheit der Norm, dass der betroffene Bürger sich auf mögliche belastende Maßnahmen einstellen kann. Der Gesetzgeber hat deshalb Anlass, Zweck und Grenzen des Eingriffs hinreichend bereichsspezifisch, präzise und normenklar festzulegen (vgl. bereits BVerfGE 65, 1, 44 ff., 54; ausführlich BVerfGE 100, 313, 359 f., 372; 110, 33, 53; 113, 348, 375; BVerfG, NJW 2007, 2464, 2466). Da die Vorschrift auch der Gefahrenverhütung dienen soll und damit eine Anknüpfung an eine konkrete Gefahrenlage, wie sie die Maßnahmen der Gefahrenabwehr nach dem Nds. SOG kennzeichnen, entfällt, müssen die Bestimmtheitsanforderungen an dieser Vorfeldsituation ausgerichtet werden. Das bedeutet, die Norm muss handlungsbegrenzende Tatbestandselemente enthalten, die einen Standard an Vorhersehbarkeit und Kontrollierbarkeit vergleichbar dem schaffen, der für die überkommenen Aufgaben der Gefahrenabwehr und der Strafverfolgung rechtsstaatlich geboten ist (vgl. BVerfGE 113, 348, 377).

Die Anknüpfung an die Aufgaben der Polizei nach § 1 Abs. 1 Nds. SOG genügt nicht, den Tatbestand des § 32 Abs. 3 Satz 1 Nds. SOG hinsichtlich des Anlasses der Datenerhebung und hinsichtlich des Verwendungszwecks der Daten hinreichend einzugrenzen. Die Bildbeobachtung dient in erster Linie dem Zweck der Gefahrverhütung (§ 1 Abs. 1 Satz 2 Nds. SOG; vgl. auch LT-Drs. 15/4212, S. 5). Da der Begriff der Gefahr denkbar weit ist und jede Sachlage erfasst, bei der im Einzelfall die hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, dass ein Schaden für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung – Begriffe, die ihrerseits weit sind (vgl. BVerfGE 69, 315, 352) – einzutreten droht (vgl. § 2 Nr. 1a Nds. SOG), ist eine tatbestandliche Begrenzung über die Zielrichtung der Bildbeobachtung kaum möglich. Dies wird schon illustriert durch das Verständnis des Beklagten, auch die permanente Beobachtung des fließenden Verkehrs mit Kameras auf Grundlage des § 32 Abs. 3 Satz 1 Nds. SOG zu betreiben. Begrenzt wird der Tatbestand auch nicht durch das Merkmal der Erforderlichkeit. Die Bildbeobachtung muss danach zur Gefahrenverhütung besser geeignet sein als andere Maßnahmen der Gefahrenverhütung, wie etwa die Präsenz von Polizeibeamten auf Streifenfahrten, Kontrollgängen u.ä. Unter der Annahme, die Bildbeobachtung ist zur Gefahrenverhütung geeignet (vgl. VGH Ba.-Wü., Urt. v. 21.07.2003, a.a.O., S. 502; OVG Hamburg, Urt. v. 22.06.2010, a.a.O., S. 504; Fetzer/Zöller, NVwZ 2007, 775, 778, m.w.N.), steht nach Auffassung der Kammer außer Frage, dass eine permanente anlasslose Beobachtung unter den Bedingungen beschränkter personeller Mittel der Polizeibehörden effektiver ist als eine stichprobenhaft erfolgende anlasslose Überwachung durch Polizeibeamte. Schließlich bietet auch der räumliche Anwendungsbereich des § 32 Abs. 3 Satz 1 Nds. SOG, der auf öffentlich zugängliche Orte beschränkt ist, kaum Anhaltspunkte für eine dem Bestimmtheitsgebot genügende Einschränkung des Tatbestandes. Letztlich erlaubt die Vorschrift jedenfalls nach ihrem Wortlaut (in den Grenzen von Art. 13 GG) die flächendeckende Beobachtung öffentlich zugänglicher Orte in Niedersachsen.

Aufgrund der Weite ihres Anwendungsbereichs dürfte die Vorschrift auch gegen das Übermaßverbot verstoßen. Die anlasslose Beobachtung dient nämlich nicht ausschließlich dem Schutz eines besonders hohen Schutzguts der Verfassung und ist auch nicht in irgendeiner Weise verfahrensrechtlich – etwa durch einen Behördenleitervorbehalt – abgesichert (vgl. zu diesen Kriterien BVerfG, Urt. v. 14.07.1999 – 1 BvR 2226/94, 2420/95 u. 2437/95 – NJW 2000, 55, 63; Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, 5. Aufl. 2007, Rz. 340).

Ob § 32 Abs. 3 Satz 1 Nds. SOG einer Auslegung zugänglich ist, die den Tatbestand in verfassungsgemäßer Weise einengte, hat die Kammer indes nicht zu entscheiden. Denn der Unterlassungsanspruch des Klägers besteht schon deshalb, weil hier die Voraussetzungen von § 32 Abs. 3 Nds. SOG nicht vorliegen. Die Videoüberwachung, der der Kläger in F. ausgesetzt ist, ist rechtswidrig.

Die Bildbeobachtung (und folglich auch die Aufzeichnung der übermittelten Bilder) in der von dem Beklagten praktizierten Art ist schon deshalb rechtswidrig, weil sie nicht offen erfolgt.

Der Begriff der offenen Datenerhebung bedeutet nicht, dass die Datenerhebung nicht verdeckt erfolgt. Das Niedersächsische Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung kennt neben dem Begriff der offenen Datenerhebung auch den Begriff der verdeckten Datenerhebung, etwa in § 30 Abs. 2 Satz 2 Nds. SOG. Hiermit gemeint ist indes nicht die Datenerhebung, die nicht als solche erkennbar ist (so Saipa, a.a.O., § 30 Rz. 6), sondern die nicht erkennbar sein soll (§ 30 Abs. 2 Satz 2 Nds. SOG). Zur mangelnden Erkennbarkeit hinzukommen muss also als subjektives Element ein zielgerichtetes Verdecken (vgl. auch Ziff. 30.2. der Ausführungsbestimmungen).

Im Hinblick auf die datenschutzrechtliche Zielsetzung des § 32 Abs. 3 Nds. SOG ist vielmehr zu fordern, dass die Videoüberwachung für den Betroffenen als Datenerhebung erkennbar ist. Erst die offene Datenerhebung bewirkt nämlich, dass der Betroffene von der Datenerhebung Kenntnis erhält und sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung und die hieraus abgeleiteten Rechte wahrnehmen kann (Böhrenz/Unger/Siefken, Nds. SOG, 8. Aufl. 2005, § 30 Rz. 8). Hieraus folgt auch, dass die Datenerhebung an ihrem Ort selbst erkennbar sein muss (so auch VGH Ba.-Wü., Urt. v. 21.07.2003, a.a.O., S. 505). Die Erkennbarkeit der Überwachung rechtfertigt im Übrigen auch ihren Einsatz als Maßnahme der Gefahrenverhütung. Denn nur wenn sie erkennbar ist, kann sie ihre abschreckende Wirkung vollumfänglich entfalten.

Gefordert ist im Hinblick auf den Schutzzweck des § 32 Abs. 3 Satz 1 Nds. SOG nach Überzeugung der Kammer darüber hinaus, die Reichweite der Beobachtung kenntlich zu machen. Auf welchem Wege dies geschieht, bleibt dem Beklagten überlassen, wobei Hinweisschilder, die am äußersten Rand des Aufnahmeraums angebracht sind, wohl praktikabler sind als andere Maßnahmen wie etwa eine Kennzeichnung der Reichweite der Kameras auf der Straße selbst. Dagegen kommt es nicht darauf an, ob die Kameras selbst zu erkennen sind. Der Hinweis des Beklagtenvertreters in der mündlichen Verhandlung, im Falle einer Beschilderung der Reichweite könne der Standort der Kameras weiterhin tatsächlich verborgen sein, ist damit unerheblich.

Nach Auffassung der Kammer ist der Umstand der Datenerhebung durch Bildbeobachtung und -aufzeichnung in F. durch die von dem Beklagten eingesetzten Kameras nicht erkennbar, sei es, dass die Kameras mit bloßem Auge nicht erkennbar sind, weil sie zu hoch angebracht sind, sei es, dass sie nicht als der Datenerhebung dienende Kameras erkennbar sind, weil sie bei der Vielzahl technischer Einrichtungen im öffentlichen Raum bei unbefangener Betrachtung allen möglichen Zwecken dienen könnten. Die von der Polizeidirektion F. eingerichtete Internetseite stellt die Offenheit der Datenerhebung nicht her, weil sich auf der Seite nur diejenigen informieren können, die dies recherchieren, nicht aber unbefangene Bürger, die nicht mit einer Datenerhebung rechnen. Im Übrigen ergibt sich aus der Darstellung im Internet auch nicht die Reichweite der Kameras, so dass es den Betroffenen selbst dann, wenn sie eine Kamera als solche erkannt haben oder sich im Internet auf der Seite der Polizeidirektion F. über die Standorte informiert haben, verwehrt ist, ihr Recht auf informationelle Selbstbestimmung wirksam auszuüben und sich ggf. der Datenerhebung zu entziehen.

Dass auch eine Kennzeichnung am Ort der Überwachung von vielen Betroffenen nicht registriert würde, wie der Beklagte geltend macht, bedeutet nicht, dass die Veröffentlichung im Internet als Kenntlichmachung ausreichte. Sofern im Fall einer hinreichenden Kenntlichmachung der Überwachung vor Ort hiervon Betroffene gleichwohl keine Kenntnis von der Überwachung nehmen, liegt dies im Verantwortungsbereich der Betroffenen. Inwieweit die Bürger ihre Freiheitsrechte wahrnehmen, ist ihre Sache und unterfällt nicht dem Bestimmungsrecht des Beklagten.

Auch kann der Beklagte nicht mit dem Argument durchdringen, eine Kennzeichnung vor Ort machte die Videoüberwachung in einer Weise erkennbar, dass potentielle Straftäter in den nicht überwachten Bereich auswichen. Erlaubt der Gesetzgeber mit Blick auf das Recht auf informationelle Selbstbestimmung die Videoüberwachung des öffentlichen Raums nur in Gestalt der offenen Datenerhebung, sind solche Ausweichbewegungen, sofern es sie tatsächlich gibt, hinzunehmen. Es ist im Übrigen nicht Sache des Beklagten, das Werkzeug der Videoüberwachung für weitere Zwecke – wie etwa den der Strafverfolgungsvorsorge, der vom Aufgabenkatalog des § 1 Abs. 1 Nds. SOG nicht (mehr) erfasst ist – durch eine gesetzwidrige und grundrechtseinschränkende Auslegung zu optimieren.

Genügt die Datenerhebung mithin nicht den Anforderungen an eine offene Datenerhebung i.S.d. § 32 Abs. 1 Nds. SOG, ist sie bis zur Herstellung der Offenheit rechtswidrig und zu unterlassen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11, § 711 Satz 1 ZPO.

Die Berufung wird nach § 124a Abs. 1 Satz 1, § 124 Abs. 1 Nr. 3 VwGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Frage, welche Anforderungen die offene Datenerhebung an die Erkennbarkeit der Beobachtung mittels Bildübertragung stellt, zugelassen.

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