Internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte bei Urheberrechtsverletzungen im Internet

Der BGH hat mit Urteil vom 21.04.2016 (Az: I ZR 43/14) entschieden, dass für die Zuständigkeit deutscher Gerichte bei Urheberrechtsverletzungen im Internet die Aufrufbarkeit der Internetseite in Deutschland genüge.

Entgegen der bisherigen Rechtsprechung orientiere sich die Zuständigkeit deutscher Gerichte nicht an dem Grundsatz des bestimmungsgemäßen Abrufs. Es genüge vielmehr, dass das betroffene Recht in Deutschland Rechtsschutz genieße und die Internetseite (auch) im Inland öffentlich zugänglich sei.

„An Evening with Marlene Dietrich“ auf YouTube – Rechtsstreit um Urheberrechtsverletzung

Auf der Videoplattform YouTube waren mehrere Videoaufnahmen von Marlene Dietrich, unter anderem aus einem Konzert im New London Theatre aus dem Jahr 1975, zu sehen. Die Marlene Dietrich Collection GmbH machte eine Verletzung von Leistungsschutzrechten der im Jahr 1992 verstorbenen Sängerin und Schauspielerin geltend und klagte gegen YouTube auf Unterlassung.

Die Marlene Dietrich Collection GmbH wurde zum Schutz der Persönlichkeit und des Lebenswerks der Schauspielerin und Sängerin errichtet. Alle Ansprüche wegen Verletzungen von Leistungsschutzrechten wurden der Gesellschaft von der einzigen Tochter und Alleinerbin der verstorbenen Künstlerin – Maria Riva – abgetreten.

Vorinstanzen: Keine Zuständigkeit deutscher Gerichte

Die Stiftung stützte ihren Anspruch gegen Youtube auf § 78 Abs. 1 Nr. 1 UrhG i.V.m. § 19a UrhG. Die Künstler in verfüge über das ausschließliche Recht, ihr Werk öffentlich zugänglich zu machen. Sie beantragte, die Unterlassung der öffentlichen Zugänglichmachung der Konzertausschnitte in Deutschland. Es handelte sich um 40 Videoaufnahmen.

Die Klage wurde vom LG München I und von der Berufungsinstanz, dem OLG München, abgewiesen. Die Künstlerin genieße nicht den Schutz des § 125 Abs. 1 UrhG, da sie zum Zeitpunkt des Konzertes nicht mehr die deutsche, sondern die US-amerikanische Staatsangehörigkeit besaß. Darüber hinaus hielt das Berufungsgericht den Anspruch der Stiftung gemäß § 125 Abs. 5 UrhG i.V.m. internationalen Verträgen (hier Rom-Abkommen, TRIPS und WIPO- Vertrag über Darbietungen und Tonträger) für ausgeschlossen. Die in Frage kommende Regelung gem. Art. 7 des Rom-Abkommens sei gemäß Art. 19 des Rom-Abkommens ausgeschlossen, da Marlene Dietrich zu ihrer Zeit mit der Aufnahme des Konzertes auf Bild- und Tonträger einverstanden war.

BGH: Änderung der Rechtsprechung bezüglich der internationalen Zuständigkeit deutscher Gerichte

Da der vorliegende Fall internationalen Charakter aufwies, musste der BGH die Frage der internationalen Zuständigkeit deutscher Gerichte klären und stellte wegweisend fest, dass diese gem. § 32 ZPO gegeben sei.

Bei der geltend gemachten Urheberrechtsverletzung handele es sich um eine unerlaubte Handlung i.S.d. § 32 ZPO. Hierfür ist gem. § 32 ZPO das Gericht zuständig, in dessen Bezirk die Handlung begangen worden ist. Insoweit besteht ein Wahlrecht des Klägers, das Gericht zu berufen, in dessen Bezirk die Verletzungshandlung (die öffentliche Zugänglichmachung) begangen worden ist, oder das Gericht, in dessen Bezirk das Rechtsgut verletzt worden ist. Da eine Internetseite von überall abgerufen werden kann, kann bei Internetrechtsverletzungen jedes beliebige Gericht bundesweit zuständig sein (sog. fliegender Gerichtsstand).

Durch die Regelung der örtlichen Zuständigkeit regele § 32 ZPO mittelbar auch die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte, so der BGH. Da die Stiftung ein in Deutschland geschütztes Leistungsschutzrechts der Sängerin Merlene Dietrich geltend gemacht habe und die Unterlassung der öffentlichen Zugänglichmachung des Filmmaterials begehrte, das auch in Deutschland abrufbar war, sei die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte gegeben.

Der BGH distanzierte sich ausdrücklich von seiner bisherigen Rechtsprechung zu diesem Thema. Für die Zuständigkeit deutscher Gerichte war früher erforderlich, dass die Internetseite bestimmungsgemäß an Nutzer in Deutschland gerichtet sein müsse. Die Richter stellen nunmehr in Anlehnung an den EuGH (Urteil vom 03.10.2013, C-170/12) fest:

„Der Erfolgsort einer unerlaubten Handlung im Sinne von § 32 ZPO ist bei einer behaupteten Verletzung des Urheberrechts oder verwandter Schutzrechte durch ein öffentliches Zugänglichmachen des Schutzgegenstands über eine Internetseite im Inland belegen, wenn die geltend gemachten Rechte im Inland geschützt sind und die Internetseite (auch) im Inland öffentlich zugänglich ist.“

Urheberrechtlicher Schutz nach § 125 Abs. 5 UrhG i.V.m. dem Rom-Abkommen gegeben

Im Übrigen stellte der BGH fest, dass das ausschließliche Recht der Künstlerin auf öffentliche Zugänglichmachung gem. § 125 Abs. 5 UrhG UrhG i.V.m. dem Rom-Abkommen gewährleistet sei. Die Zustimmung Marlene Dietrichs zur Bild- und Tonaufnahme stünde dem nicht entgegen. Gem. Art. 19 des Rom-Abkommens sei im Falle einer Zustimmung des Künstlers nur Art. 7 nicht mehr anwendbar. Die restlichen Regelungen bleiben jedoch unberührt.

Insbesondere käme im konkreten Fall Art. 4 lit. a in Betracht, welcher dem Künstler eine umfassende Inländerbehandlung gewährleistet. Somit ist auch das gem. § 78 Abs. 1 Nr. 1 UrhG geschützte ausschließliche Recht des Künstlers, seine Darbietung öffentlich zugänglich zu machen, vom Schutzbereich des Rom-Abkommens umfasst. Hiernach genieße Merlene Dietrich den gleichen Schutz wie deutsche Künstler und die Stiftung könne in ihrem Namen die Unterlassung begehren.

Der Rechtsstreit geht weiter – das Berufungsgericht muss nunmehr den eigentlichen Rechteinhaber ermitteln

Des Weiteren bleibt die Frage offen, ob das Recht aus § 78 Abs. 1 Nr. 1 UrhG bezüglich der Aufnahmen des Londoner Konzerts Marlene Dietrich zusteht oder dem Produzenten des Films „An Evening with Marlene Dietrich“. Dies hat nunmehr das Berufungsgericht zu entscheiden.

Gem. § 137e Abs. 4 S. 2 UrhG besitzt der Filmproduzent die ausschließlichen Rechte, wenn ein Künstler vor dem 30.6.1995 in die Benutzung seiner Darbietung zur Herstellung eines Filmwerkes eingewilligt hat. In diesem Zusammenhang muss das Berufungsgericht prüfen, ob die streitgegenständlichen Aufzeichnungen als Filmwerk i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 2 UrhG betrachtet werden können oder lediglich als Laufbilder ohne selbständigen künstlerischen Inhalt gem. § 95 UrhG.

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